Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Die Beurteilung, ob das Ausbleiben eines Betroffenen genügend entschuldigt ist, obliegt dem Tatrichter. Das Rechtsbeschwerdegericht kann lediglich überprüfen, ob der Tatrichter die Entschuldigungsgründe, die im Zeitpunkt des Urteilserlasses in Betracht kamen, überhaupt einer sachlichen Prüfung unterzogen und ob er dabei den Rechtsbegriff der nicht genügenden Entschuldigung richtig angewandt hat. Um diese Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht zu ermöglichen, ist eine Auseinandersetzung mit den in Betracht kommenden Entschuldigungsgründen in den Gründen des Verwerfungsurteils erforderlich.

  • 2.

    Die faktische Verweigerung der nachgesuchten Akteneinsicht kommt als genügender Entschuldiggrund i.S.d. § 74 Abs. 2 OWiG in Betracht (Anschluss an BayObLG NJW 1990, 3222;  1991, 1070 f).

  • 3.

    Der Gewährung von Akteneinsicht an den Verteidiger steht nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der Beantragung der Akteneinsicht keine schriftliche Vollmacht des Verteidigers vorliegt. Bei Zweifeln an der Bevollmächtigung hat das Gericht von sich aus aufzuklären.

 

Verfahrensgang

AG Sömmerda (Entscheidung vom 23.05.2003; Aktenzeichen 110 Js 202872/02)

 

Tenor

Das Urteil des Amtsgerichts Sömmerda vom 23.05.2003 wird aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht Sömmerda zurückverwiesen.

Die weitere Beschwerde wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.

 

Gründe

I.

Mit Bescheid vom 04. Juli 2002 setzte das Thüringer Polizeiverwaltungsamt - Zentrale Bußgeldstelle - gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 38 km/h, begangen am 12.03.2002, eine Geldbuße in Höhe von 75,00 EUR fest und ordnete wegen der 4 Voreintragungen ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat an. Der Bußgeldbescheid wurde am 09.07.2002 durch Niederlegung unter der Wohnanschrift des Betroffenen zugestellt.

Am 30.07.2002 legte der Betroffene Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und beantragte sinngemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter Glaubhaftmachung seiner urlaubsbedingten Abwesenheit vom 06.07. bis 20.07.2002. Das Thüringer Polizeiverwaltungsamt gewährte daraufhin am 14.08.2002 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Am 03.06.2002 hatte zuvor die Polizeiinspektion Heiligenstadt auf Veranlassung des Thüringer Polizeiverwaltungsamtes die Fahrereigenschaft des Betroffenen anhand des bei der Geschwindigkeitsmessung gefertigten Lichtbildes durch Vergleich mit einer Kopie des Passbildes bei dem Einwohnermeldeamt festgestellt. Der Betroffene hatte in seinem Anhörungsbogen am 15.04.2002 angegeben, dass seine Ehefrau zum Tatzeitpunkt das Fahrzeug geführt habe.

Nach Eingang der Akten beim Amtsgericht bestimmte dieses Termin zur Hauptverhandlung auf den 23.05.2003. Die Ladung zum Termin wurde dem Betroffenen am 20.12.2002 zugestellt. Mit Schreiben vom 15.05.2003 beantragte der nunmehr bestellte Verteidiger ohne Vorlage einer Prozessvollmacht, den Termin vom 23.05.2003 wegen einer Terminskollision zu verlegen und verlangte Akteneinsicht. Mit Verfügung vom selben Tag wies das Amtsgericht Sömmerda den Terminsverlegungsantrag zurück. Mit Schreiben vom 16.05.2003 beantragte der Verteidiger erneut Terminsverlegung, diesmal unter Hinweis auf eine an den Betroffenen ergangene Schöffenladung ebenfalls zum 23.05.2003. Die Schöffenladung datierte vom 29.04.2003. Auch dieses Verlegungsgesuch wies das Amtsgericht Sömmerda mit Schreiben vom 19.05.2003 zurück. Ein weiterer Verlegungsantrag datierte vom 21.05.2003 unter Hinweis auf die noch nicht erfolgte Akteneinsicht; diesen Antrag beschied das Amtsgericht nicht mehr.

Im Termin zur Hauptverhandlung am 23.05.2003 erschienen der Betroffene und sein Verteidiger nicht. Daraufhin verwarf das Amtsgericht Sömmerda durch Urteil vom selben Tag den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid vom 04.07.2002. Das Urteil wurde dem Betroffenen am 10.06.2003 zugestellt, sein Verteidiger erhielt formlose Abschrift unter Hinweis auf die förmliche Zustellung an den Betroffenen.

Mit Schreiben vom 13.06.2003, eingegangen bei Gericht am selben Tag, legte der Betroffene durch seinen Verteidiger Rechtsbeschwerde ein und beantragte zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung des Termins vom 23.05.2003. In dem Schreiben begründete der Betroffene die Rechtsbeschwerde mit der Rüge formellen Rechts, welche er mit Schreiben vom 08.07.2003 ergänzte.

Durch Beschluss vom 14.07.2003 verwarf das Amtsgericht Sömmerda den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Gegen diese dem Betroffenen am 16.07.2003 zugestellte Entscheidung legte er durch seinen Verteidiger am 17.07.2003 sofortige Beschwerde ein. Das Landgericht Erfurt verwarf die Beschwerde durch Beschluss vom 13.01.2004. Mit Schriftsatz vom 26.01.2004 legte der Verteidiger hiergegen "Beschwerde" ein.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer dem Verteidiger bekannt gegebenen Stellungna...

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