Leitsatz (amtlich)

Ablehnung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in die Frist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde im Strafvollstreckungsverfahren bei behauptetem anwaltlichen Verschulden wegen Fehlens einer erschöpfenden und widerspruchsfreien Darlegung und Glaubhaftmachung der Hinderungsgründe durch die Verteidigerin.

 

Normenkette

StPO §§ 44, 45 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Gera (Entscheidung vom 15.05.2020)

 

Tenor

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Gera vom 15.05.2020 und die sofortige Beschwerde gegen diesen Beschluss werden verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Verurteilte zu tragen.

 

Gründe

I.

Der strafrechtlich nicht vorbelastete Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landgerichts Gera vom 15.06.2015 i. V. m. dem (nach vom BGH vorgenommener Schuldspruchberichtigung nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffenden) Urteil des Landgerichts Gera vom 16.08.2016 wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes, begangen im Mai 2013 zum Nachteil der am 26.01.2011 geborenen Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin, zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt, die er nach freiwilligem Haftantritt seit dem 08.05.2017 verbüßt; 2/3-Zeitpunkt war am 06.01.2020 erreicht, bei auf den 07.05.2021 notiertem Strafzeitende.

Vom 13.06.2018 bis 25.06.2019 absolvierte der Beschwerdeführer, der die Tatbegehung bestreitet und ein Wiederaufnahmeverfahren anstrebt, 20 begleitete und 30 unbegleitete Ausgänge beanstandungsfrei; seit dem 26.06.2019 befindet er sich im offenen Vollzug.

Das bereits unter dem 05.04.2018 erstellte Lockerungsgutachten der Justizvollzugsanstalt .../Psychologischer Dienst hatte zwar anhand des Fragebogens zur Erfassung psychosexueller Merkmale bei Sexualtätern (MSI) Hinweise auf einen dissimulierenden und überkontrolliert machtmissbrauchenden Täter gefunden, jedoch angesichts fehlender dissozialer Prägung, fehlender Vorstrafen, beanstandungsfreien Vollzugsverhaltens und einer hochspezifischen Täter-Opfer-Beziehung eine erneute Straftatbegehung in Lockerungen als wenig wahrscheinlich angesehen.

Die Justizvollzugsanstalt bescheinigte dem Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom 02.09. 2019 ein weiterhin beanstandungsfreies Vollzugsverhalten, stufte die notwendigen Behandlungsmaßnahmen als abgeschlossen ein und sah eine bedingte Haftentlassung unter Auflagen als vertretbar an. Die Staatsanwaltschaft stellte mit Verfügung vom 10.09.2019 ihre Antragstellung bis zum Vorliegen eines gem. § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO einzuholenden Gutachtens zurück.

Mit Beschluss vom 29.11.2019 lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Gera die Aussetzung des Strafrestes nach Verbüßung von 2/3 der Freiheitsstrafe zur Bewährung ohne Einholung eines Prognosegutachtens ab.

Auf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten, die seine - ihn auch im vorliegenden Beschwerdeverfahren vertretende - Verteidigerin fristgerecht als solche beim Landgericht Gera einlegte, hob der Senat mit Beschluss vom 06.02.2020, Az. 1 Ws 14/20, den angefochtenen Beschluss wegen verfahrensfehlerhaft unterbliebener Einholung eines Prognosegutachtens auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Landgericht zurück.

Nach Einholung eines kriminalprognostischen Sachverständigengutachtens, das der Kammer am 01.04.2020 vorlag, und Eingang eines ergänzenden Berichts der Justizvollzugsanstalt ... vom 04.05.2020, wonach der Verurteilte seit dem 23.12.2019 weiterhin beanstandungsfrei Langzeitausgänge absolvierte und sich vom 20.03. bis 03.05.2020 aufgrund der Corona-Pandemie durchgängig im Langzeitausgang befand, hat die Strafvollstreckungskammer den Verurteilten und den Sachverständigen Dipl.-Psych. Dr. A. R. am 07.05.2020 in Anwesenheit der Verteidigerin und eines Vertreters der Staatsanwaltschaft mündlich angehört.

Mit Beschluss vom 15.05.2020 hat die Kammer in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft entschieden, dass die Vollstreckung des Strafrestes nach Verbüßung von mehr als 2/3 der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wird. Der Beschluss ist dem Verurteilten gemäß richterlicher Verfügung mit Rechtsmittelbelehrung "Sofortige Beschwerde" am 28.05.2020 zugestellt und der Verteidigerin - unter Hinweis auf die Zustellung an den Mandanten - formlos bekannt gemacht worden.

Mit Schriftsatz vom 12.06.2020 - eingegangen per Fax beim Landgericht Gera am 14.06.2020 - hat die Verteidigerin beantragt, dem Verurteilten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde zu gewähren, und gleichzeitig für diesen sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages wird im Wesentlichen folgender Sachverhalt vorgetragen und "anwaltlich versichert":

Der Beschwerdeführer, den sie in dieser Sache schon seit dem Revisionsverfahren vertrete, habe ihr schon i...

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