Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Obhutspflicht des Klinikträgers gegenüber einem sturzgefährdeten Patienten
Leitsatz (amtlich)
1. Bei sturzgefährdeten Patienten ist anerkannt, dass dem Krankenhausträger im Rahmen seiner vertraglichen Obhutspflicht obliegt, diesen Patienten zu überwachen und ihn vor krankheitsbedingten Selbstgefährdungen und Selbstschädigungen (hier Sturz) zu schützen. Umfang und Ausmaß der dem Krankenhaus obliegenden Pflege und Betreuung richten sich insoweit in erster Linie nach dem jeweiligen Gesundheitszustand des Patienten. Konkret und aus Sicht (der Klinik) ex ante kommt es darauf an, ob im Einzelfall wegen der Verfassung des Patienten damit gerechnet werden muss, dass sich der (sturzgefährdete) Patient ohne eine besondere Sicherung selbst schädigen wird.
2. Kommt es - wegen unterlassener Absicherungsmaßnahmen (der Klinik) - zu einem Sturzereignis, ist eine Einzelfallabwägung geboten. Eine lediglich latent vorhandene Sturzneigung (des Patienten) rechtfertigt allein noch keine allgemeine Fixierung und beständige Überwachung dieses Patienten. Denn der Klinikträger schuldet die Erbringung seiner ärztlichen und pflegerischen Leistung (auch) unter Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse des Patienten vor vermeidbaren Beeinträchtigungen und Belastungen, die eventuelle Sicherungsmaßnahmen (Bettgitter, Fixierung) mit sich brächten und die der Förderung der Selbständigkeit und der Mobilität des Patienten widersprächen.
3. Andererseits schließt aber auch ein zunächst pflegerisch noch beherrschbarer Zustand des Patienten nicht aus, dass sich die zunächst nur latente Sturzgefahr zu einer konkreten Gefahrenlage zuspitzt, aus der eine gesteigerte Obhutspflicht (des Klinikträgers) erwächst, die Anlass für vorbeugende und sichernde Maßnahmen des ärztlichen und pflegerischen Personals erforderlich machen.
Entscheidend hierfür ist, ob es vor den jeweiligen Sturzereignissen Hinweise auf eine konkrete (akute) Sturzgefährdung gibt, die dann Anlass dafür ist, weitere Maßnahmen zur Überwachung und Sicherung des Patienten selbst zu ergreifen oder diese (ggf. im Hinblick auf betreuungsgerichtliche Entscheidungen) über Dritte anzuregen.
Normenkette
BGB § 280
Verfahrensgang
LG Mühlhausen (Urteil vom 25.05.2011; Aktenzeichen 3 O 796/09) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Mühlhausen vom 25.5.2011 (Az.: 3 O 796/09) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf 14.455,03 EUR.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch.
Der am 15.1.1929 geborene Kläger leidet an diversen Erkrankungen, u.a. an einem Diabetis mellitus Typ-2 und einer Parkinsonerkrankung. Am 27.3.2008 stürzte der Kläger im Diabeteszentrum Bad L. auf die rechte Hüfte. Daraufhin wurde er bei der Beklagten mit Verdacht auf eine mediale Schenkelhalsfraktur rechts zur stationären Behandlung aufgenommen.
Im klinischen Aufnahmestatus der Beklagten vom 27.3.2008 wurde ausdrücklich - auf Angabe des Klägers - eine "Sturzgefahr" vermerkt. Festgestellt wurde eine mediale Schenkelhalsfraktur rechts; die operative Versorgung der Schenkelhalsfraktur fand am 28.3.2008 statt. Nach der Operation wurde der Kläger in ein 3-Bettzimmer verlegt. Dort lag er in einem Bett mit Bettgitter, um ein Herausstürzen zu verhindern. Der Kläger wurde danach (vermutlich am 29.3.2008) in ein Einzelzimmer verlegt. Das dort vorhandene Bett verfügte nicht über eine Gittervorrichtung. Im Stammdatenblatt anlässlich der Verlegung ist erfasst: "Sturzrisiko: ja!"
Der Kläger nahm aufgrund ärztlicher Anordnung im Zeitraum vom 31.3.2008 bis 7.4.2008 an einer krankengymnastischen Behandlung zur Mobilisierung (Physiotherapie) teil.
Der Kläger stürzte am 5.4.2008 gegen 12.55 Uhr in seinem Zimmer. Der Kläger stürzte am Folgetag, 6.4.2008 gegen 22.30 Uhr erneut in seinem Zimmer; er war wiederum allein. Der genaue Hergang der Stürze vom 5.4.2008 und 6.4.2008 ist ungeklärt. Unstreitig ist in diesem Zusammenhang, dass die Stürze im Zustand von Verwirrtheit stattgefunden haben.
Am 21.4.2008 wurde der Kläger zur weiteren Rekonvaleszenz in das St. Elisabeth Krankenhaus, Fachklinik für Geriatrie verlegt. Seit dem 9.5.2008 befindet der Kläger sich im Seniorenwohnpark der DRK in S.. Der Kläger hat seine Gehfähigkeiten nicht wieder gewonnen. Es ist auf die Nutzung eines Rollstuhls angewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten und die erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das LG hat die Klage nach Anhörung der Bevollmächtigten des Klägers und einer ärztlichen Vertreterin der Beklagten abgewiesen. Das LG hat ausgeführt, eine Haftung der Beklagten komme unabhängig davon, ob der Kläger beim Laufen gestürzt oder aus dem Bett gefallen sei, nicht in Betracht, da sie ihre Obhutspfl...