Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Leistungsfreiheit des Versicherers bei nicht bewiesener Schadensursache

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine arglistige Täuschung nach § 21 Nr. 1 VGB 88, die zur Leistungsfreiheit des Versicherers führt, setzt eine (eindeutige) Täuschung des Versicherers zum Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums (über die Schadensursache) durch den Versicherungsnehmer voraus, also ein vorsätzliches und bewusstes Verhalten, dass geeignet ist, auf den Willen des Versicherers zur Schadensregulierung einzuwirken.

Hieran fehlt es, wenn der Versicherungsnehmer - im Zuge seiner Einvernahme durch die ermittelnden Polizeibeamten und in Bezug auf die Geltendmachung der Versicherungs-leistung (aus einer Wohngebäudeversicherung nach einem Brand) - lediglich verschiedene (denkbare) Schadensursachen benennt, es sich mithin erkennbar nur um Vermutungen zur Brandursache im Sinne von "Verdachtsäußerungen" handelte.

2. Beruft sich der Versicherer auf Leistungsfreiheit wegen vorsätzlich oder grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherungsnehmer, obliegt dem Versicherer die volle Beweislast hierfür in objektiver Hinsicht und für ein qualifiziertes Verschulden des Versicherungsnehmers.

Fehlt es in diesem Zusammenhang an zureichenden bewiesenen Fakten, fehlt es mithin an einer eindeutigen und konkreten Feststellung der Schadensursache (des Brandes) im Sinne eines verwertbaren Eliminationsverfahrens, bleibt für die Anwendbarkeit des vertraglichen Versicherungsausschlusses nach den einschlägigen VGB (88) oder einer Leistungsfreiheit nach § 61 VVG a.F. kein Raum.

 

Normenkette

VGB-88 §§ 9, 21; VVG a.F. § 61

 

Verfahrensgang

LG Mühlhausen (Urteil vom 15.04.2011; Aktenzeichen 3 O 702/09)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des LG Mühlhausen vom 15.4.2011 - 3 O 702/09 - abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, 89.320 EUR, davon an die BHW Bausparkasse AG in 31781 Hameln 25.100 EUR und an den Kläger 64.220 EUR, an letzteren zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem Gesamtbetrag (von 89.320 EUR) seit dem 19.11.2009 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits (beider Instanzen) fallen der Beklagten zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Berufungsstreitwert beträgt 89.320 EUR.

 

Gründe

I. Der Kläger ist Eigentümer des mit einem frei stehenden Einfamilienhaus bebauten Grundstücks K. weg 7 in N.; dieses wurde durch einen Brand in den Morgenstunden des 26.11.2008, dessen Ursache zwischen den Parteien streitig, die aber letztlich nicht geklärt ist, in seiner Substanz vollständig zerstört. Für dieses Objekt hatte der Kläger unter dem 31.5.1998 bei der Beklagten eine Sachschadensversicherung in Form einer "Wohngebäude-Vielschutz-Versicherung" zum gleitenden Neuwert (Versicherungssume 1914 in Mark 15.700) - Versicherungs-Nr. 10519903694/3P - abgeschlossen. Versicherte Gefahr war u.a. (auch) Brand.

Als Vertragsgrundlage waren die VGB 88 (Anlage B 1, Bl. 64 ff/Bd. I d.A.) vereinbart.

Nach § 9 Nr. 1 dieser VGB sind nicht versichert Schäden,

a) die der VN vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführt;

b) (hier unerheblich);

ferner nach Nr. 2

a) Brandschäden, die an versicherten Sachen dadurch entstehen, dass sie ... der Wärme ... ausgesetzt werden

b) (hier unerheblich) und

c) Kurzschluss- und Überspannungsschäden, die an elektrischen Einrichtungen entstehen.

Nach § 11 Nr. 1a) (VGB 88) obliegt dem Versicherungsnehmer die Beachtung behördlicher oder vereinbarter Sicherheitsvorschriften.

Nach Nr. 2 (dieses §) wird der Versicherer bei Verletzung u.a. dieser Obliegenheit leistungsfrei; daneben steht ihm ein Kündigungsrecht nach Maßgabe des § 6 VVG zu.

Nach Abs. 2 (dieser Ziffer) tritt Leistungsfreiheit nicht ein, wenn die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht.

Nach § 21 Nr. 1 der VGB wird der Versicherer leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer versucht, den Versicherer arglistig über Tatsachen zu täuschen, die für den Grund oder für die Höhe der Entschädigung von Bedeutung sind.

Mit der streitgegenständlichen Klage macht der Kläger den - unstreitigen -Zeitwert (des reinen Sachsubstanzgebäudeschadens) von 89.320 EUR geltend (vgl. dazu Schreiben d. Beklagten vom 3.9.2009, Bl. 16 d.A.; Schadens-aufstellung d. Bekl. vom 20.1.2009 auf der Grundlage der Berechnungen ihres Sachverständigen Dipl.-Ing. K. N., Anlage 2 zum Protokoll v. 28.02. 2012, Bl. 323, Bd. II d.A.).

Hinsichtlich der Brandursache wurden polizeiliche Ermittlungen geführt. Nach deren Erkenntnissen soll der Brand im Bereich der Terrasse ausgebrochen sein; als Ursache hat die Kripo Nordhausen zum Einen einen auf der Terrasse positionierten - vom Kläger (angeblich) in der Brandnacht betriebenen - Heizlüfter (Brandursache: zu geringe...

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