Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsschutzbedürfnis; Aktionärswiderspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. Da die aktienrechtlichen Anfechtungsklage für die Aktionäre ein Instrument zur Herbeiführung gesetzes- und satzungskonformer Hauptversammlungsbeschlüsse ist, genügt es für das Rechtsschutzbedürfnis einer Anfechtungsklage grds., dass die Beseitigung eines gesetz- oder satzungswidrigen Beschlusses erstrebt wird und die Klage damit auf die Herbeiführung eines rechtmäßigen Zustandes gerichtet ist. Nicht erforderlich ist, dass die Beseitigung des Beschlusses dem Kläger im Übrigen einen Nutzen bringt.

2. Etwas anderes kann gelten, wenn die Nichtigerklärung weder für die Gesellschaft noch für den Anfechtungskläger irgendwelche Folgen haben kann. z.B. deswegen, weil der streitgegenständlichen Beschluss zwischenzeitlich rechtswirksam aufgehoben wurde oder weil er wegen Rücknahme der Anmeldung nicht wirksam werden kann oder weil es sich um einen ablehnenden Beschluss handelt (vgl. BGH WM 1964, 1188 [1191]).

3. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine aktienrechtliche Anfechtungsklage kann sich auch daraus ergeben, dass der angefochtene Beschluss den Anschein trägt, als seien die Aktionäre sowie Vorstand und Aufsichtsrat an ihn gebunden.

4. Der in einem Anfechtungsprozess vereinbarte Vergleich, dass ein Hauptverhandlungsbeschluss nicht wirksam sein soll, führt nicht dazu, dass der Beschluss aufgehoben ist oder als aufgehoben gilt, weil ein Vergleich dieses Inhalts sachlich der Aufhebung der Hauptversammlungsbeschlüsse gleich kommt. und damit allein in die Zuständigkeit der Hauptversammlung fällt.

5. Ein solcher Vergleich kann nicht als Klageanerkenntnis verbunden mit dem Antrag des Klägers auf Erlass eines Anerkenntnisurteils ausgelegt werden.

6. Ein Widerspruch ist auch dann für eine spätere Anfechtungsklage ausreichend, wenn er vorab "zu allen Beschlüssen der Tagesordnung" erklärt wurde.

7. Haben der Hauptversammlung zur Entscheidung über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat die in § 120 Abs. 3 S. 2 AktG bezeichneten Dokumente nicht vorgelegen, ist der anfechtungsbegründende relevante Kausalzusammenhang (vgl. § 243 Abs. 4 AktG i.d.F. des Gesetzes v. 22.9.2005, BGBl. I 2005, 2801; Kubis in MünchKomm/AktG, a.a.O., § 120 AktG Rz. 48 m.w.N.). jedenfalls dann gegeben, wenn ein verständiger Durchschnittsaktionär sich nicht in der Lage sieht, in Abwesenheit des fraglichen Dokumente an der Abstimmung über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrats teilzunehmen.

 

Normenkette

AktG §§ 245-246

 

Verfahrensgang

LG Mühlhausen (Urteil vom 22.08.2005; Aktenzeichen HKO 141/04)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des 1. Klägers wird das Urteil des LG Mühlhausen v. 22.8.2005 - HKO 141/04 - abgeändert:

Der Beschluss - Top 2 (Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 2002) der Hauptversammlung der Beklagten vom 25.11.2004 wird für nichtig erklärt.

Der Beschluss - Top 3 (Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2002) der Hauptversammlung der Beklagten vom 25.11.2004 wird für nichtig erklärt.

2. Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention trägt die Beklagte.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt als Aktionär der beklagten C. AG im Wege der Anfechtungsklage, zwei Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 25.11.2004 für nichtig zu erklären. Durch den Beschluss zu TOP 2 wurde dem Vorstand, durch den Beschluss zu TOP 3 dem Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2002 Entlastung erteilt, und zwar mit einer Mehrheit von jeweils 268.321 Ja- zu 43.927 Nein-Stimmen.

Der Kläger hat als Aktionär an der Hauptversammlung vom 25.11.2004 persönlich teilgenommen und vor der Beschlussfassung "zu allen Beschlüssen der Tagesordnung unter Verweis auf § 120 Aktiengesetz" Widerspruch zu Protokoll erklärt.

Schon im Vorjahr hatte die Hauptversammlung vom 18.12.2003 die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2002 mehrheitlich beschlossen. Zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Hauptversammlung war eine Anfechtungsklage anhängig, die sich gegen die am 18.12.2003 gefassten Entlastungsbeschlüsse richtete (LG Mühlhausen - HKO 6/04).

Die damalige, unter dem 14.1.2004 erhobene Anfechtungsklage stützte der Kläger des Vorprozesses auf verschiedene Mängel. So rügte er, dass an der Hauptversammlung vom 18.12.2003 der gem. § 20 Abs. 7 AktG an der Ausübung der Aktionärsrechte gehinderte Mehrheitsaktionär teilgenommen und abgestimmt habe. Für 238.278 des in 450.000 Stückaktien aufgeteilten Grundkapitals der Beklagten habe daher am 18.12.2003 kein Teilnahme- und kein Stimmrecht bestanden; die gleichwohl abgegeben Stimmen aus diesen Aktien führten zur Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung vom 18.12.2003. Die Entlastung des Vorstan...

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