Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur vorvertraglichen Obliegenheitsverletzun g bei unwahrer Beantwortung von Gesundheitsfragen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird im Antragsformular (auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung) danach gefragt, ob der Antragsteller (spät. VN) wegen Erkrankungen/Beschwerden des Bewegungsapparates behandelt oder untersucht wurde, so sind - unabhängig von der Schwere und dem Stadium solcher Beschwerden - diese einschließlich aller Behandlungen und Gesundheitsbeein-trächtigungen anzugeben; es sei denn, es handelt sich tatsächlich nur um offenkundig belanglose und alsbald vergehende Beeinträchtigungen.

2. Bei persistierenden Wirbelsäulenbeschwerden, die über das normale Maß degenerativer Abnutzung hinausgehen und die eine kontinuierliche Behandlung erfordern, steht deren Gefahrerheblichkeit für eine Berufsunfähigkeitsversicherung außer Frage.

3. Steht die objektive Obliegenheitsverletzung des Antragstellers auf Grund einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme fest, so rechtfertigen zwar allein die falschen Angaben im Antragsformular noch nicht den Schluss auf eine (subjektive) Arglist des Antragstellers. Für dessen Täuschungsbewusstsein spricht aber, wenn er schwere, chronische und schadensgeneigte gesundheitliche Beeinträchtigungen verschweigt, die ihm offensichtlich als gefahrerheblich für das versicherte Risiko (hier BU) erscheinen mussten.

4. Liegt eine arglistige Täuschung des Antragstellers vor, ist diese regelmäßig auch als kausal für die Entschließung des Versicherers auf Abschluss der Berufsunfähigkeitsversicherung anzusehen.

5. Auch bei unwirksamer - weil zu weitgehender - Schweigepflichtsentbindungserklärung führt die selbständig von der Versicherung eingeholte Gesundheitsauskunft (bei behandelnden Ärzten) nicht ohne weiteres zu einem Verwertungsverbot. Kann dem Versicherer dabei kein treuwidriges Verhalten vorgeworfen werden, weil er sich - im Vertrauen auf die Wirksamkeit der (formal) erteilten Einwilligungserklärung - an eine langjährige Praxis gehalten hat, so führt allein die rechtswidrige Datenerhebung nicht automatisch zu einer unzulässigen Rechtsausübung; sie kann vielmehr im Prozess verwertet werden.

 

Normenkette

VVG a.F. § 16; VVG § 22; BGB § 123 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Erfurt (Urteil vom 21.05.2007; Aktenzeichen 8 O 1052/06)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Erfurt vom 21.5.2007 - Az.: 8 O 1052/06 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des für die Beklagte wegen der Kosten vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit i.H.v. 120 % des für sie vollstreckbaren Kostenbetrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte im Leistungs- und Feststellungsweg aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung in Anspruch.

Der Kläger stellte am 26.2.2004 den Antrag auf Abschluss einer Risiko-Lebensversicherung nebst Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung bei der Beklagten. Das Antragsformular (Anlage K6; Bd. I Bl. 44 f.) füllte - bis auf die Gesundheitsangaben unter Ziff. 7. - die bei der Beklagten fest angestellte Versicherungskauffrau B. aus. Die Gesundheitsfragen beantwortete der Kläger - nur mit Hilfe seiner Ehefrau - selbständig; die Eintragungen bzw. Ankreuzungen zu Ziff. 7 des Antragsformulars stammen von ihm selbst. Hierbei verneinte er die Frage nach "Erkrankungen/Beschwerden des Bewegungsapparates" innerhalb der letzten 10 Jahre (Ziff. 7 lit. i).

Tatsächlich war der Kläger jedoch in den letzten 10 Jahren vor dem 26.2.2004 insgesamt 25-mal in orthopädischer Behandlung bei der (sachverständigen) Zeugin Dr. me d.A.; und zwar - nach der schriftlichen Auskunft, die die Zeugin unter dem 6.10.2005 der Beklagten erteilt hat (Anlage B4, Bd. I Bl. 67) - im Einzelnen wie folgt:

"24.10.1997 wegen Cervikalsyndrom

6.11.1997 Rö HWS in 2 Ebenen - Osteochondrose

13.1.1998; 2.2.1998; 3.3.1998; 17.3.1998 wegen Cervikalsyndrom

4.4.1998; 15.5.1998; 19.5.1998; 5.10.1998; 26.10.1998; 1.12.1998 wegen Lumbalgie

4.1.1999; 11.2.1999; 16.3.1999; 29.4.1999; 17.6.1999 wegen Lumbalgie

15.7.1999; 26.7.1999; 29.7.1999; 3.8.1999; 11.8.1999; 15.9.1999 wegen Cervikalsyndrom

10.6.2003; 16.6.2003 wegen Lumbalgie Rö LWS in 2 Ebenen -

re. konvexe Lumbalskoliose, Osteochondrose und Spondylose

RÖ-BÜ-Pfannendachsklerose - sonst o. B."

Behandelt wurden die Nacken- und Rückenbeschwerden - wie gleichfalls aus dem Arztbericht folgt - "konservativ; und zwar mit Bewegungstherapie, Massage und NSAR lokale Injektionen"

Seit November 1993 war der Kläger als Zimmermann und Lkw-Fahrer tätig. Diesen Beruf kann er seit Ende 2004 nicht mehr ausüben, als bei ihm eine (schmerzhafte) Morbus-Bechterew-Erkrankung in "offensichtlicher Mischform mit degenerativer Wirbelsäulenveränderung" (vgl. hierzu den vom Kläger als Anlage K8 vorgelegten Bericht der nuklearmedizinischen Untersuchung v. 31.1.2...

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