Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Frage der Notwendigkeit eines Nacherfüllungsverlangens im Arzthaftungsrecht

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Arzthaftungsrecht muss - nach fehlerhafter Behandlung - der Patient den Arzt nicht zur Nacherfüllung auffordern, wenn er anschließend Schadensersatz und Schmerzensgeld von dem behandelnden Arzt wegen dessen Behandlungsfehler verlangt.

Der Eigenart des Arzt-Patienten-Verhältnisses und dem Inhalt der nach dem Behandlungsvertrag geschuldeten Leistung widerspräche es, wenn der Patient nach fehlerhafter Behandlung Nacherfüllung verlangen müsste.

2. Dieses gesetzliche Erfordernis eines Nacherfüllungsverlangens (§ 281 BGB) kann nur für solche Schadensersatzpositionen relevant werden, die dem Komplex Schadensersatz statt Erfüllung zuzurechnen sind; das sind z.B. Nachbehandlungskosten für eine wegen des Behandlungsfehlers notwendig gewordene Nachbehandlung.

3. Für den "einfachen" - materiellen und immateriellen - Schadensersatz nach §§ 280, 253 Abs. 2 BGB ist eine Aufforderung zur Nacherfüllung entbehrlich. Dies folgt schon aus dem Umstand, dass ein Nacherfüllungsanspruch nach Beendigung des Behandlungsvertrags (d.h. mit Erbringung der Hauptleistungen aus diesem Vertrag) nicht (mehr) besteht.

Ein Behandlungsabbruch seitens des Patienten (wegen verlorenen Vertrauens) ist dabei im Regelfall als Kündigung des ärztlichen Behandlungsvertrags anzusehen.

 

Normenkette

BGB §§ 253, 280-281

 

Verfahrensgang

LG Erfurt (Urteil vom 14.07.2011; Aktenzeichen 10 O 2037/09)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Erfurt vom 14.7.2011 (Az.: 10 O 2037/09) aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird an das LG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden niedergeschlagen. Im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Kosten dem LG Erfurt vorbehalten.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen streitiger ärztlicher Fehlbehandlung auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie auf Schadenersatz in Anspruch.

Die Klägerin ist privat krankenversichert. Sie befand sich ab dem Jahr 2000 bis Dezember 2006 beim Beklagten in zahnärztlicher Behandlung.

Zu einem nicht näher aufgeklärten Zeitpunkt setzte der Beklagte der Klägerin am Zahn 27 zunächst eine Kunststofffüllung, danach ein Goldinlay ein. Wegen dieses Zahnes fand am 10.7.2006 beim Beklagten eine Behandlung statt. Der Beklagte wies die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf hin, dass an diesem Zahn Behandlungsbedürftigkeit bestehe.

Die Beklagte befand sich weiterhin wegen des Zahnes 36 beim Beklagten in Behandlung. Am Zahn 36 wurde am 8.12.2006 eine vorhandene Altkrone entfernt und eine neu angefertigte Vollkeramikkrone eingesetzt. Nach dem 8.12.2006 erschien die Klägerin nicht mehr beim Beklagten zur Behandlung.

Die Klägerin befand sich in der Nacht vom 9.2.2007 auf den 10.2.2007 in der Universitätsklinik Jena in zahnärztlicher Notbehandlung wegen "Schmerzen".

Hinsichtlich des Zahnes 27 wurde am 7.5.2007 eine Sekundärkaries unter dem Inlay festgestellt. Der Zahn 27 wurde durch den Nachbehandler, Zahnarzt Dr. Hoffmann, am 26.9.2007, 5.11.2007 und 15.11.2007 nachbehandelt.

Am Zahn 36 wurde am 7.6.2007 distal Sekundärkaries am Kronenrand festgestellt. Für den Zahn 36 begab sich die Klägerin im Zeitraum vom 29.8.2007 bis zum 5.8.2008 in weitere zahnärztliche Behandlung.

Die Klägerin behauptet, beim Einsetzen des Inlays am Zahn 27 habe der Beklagte entweder vermutlich Teile einer vorhandenen Kunststofffüllung und darunter befindliche Sekundärkaries im Stufenbereich mesial übersehen und belassen, oder der Beklagte habe übersehen, dass das Inlay im Stufenbereich keine ausreichende Passfähigkeit hatte und das vorhandene Befestigungsmaterial habe die vorhandene Kavität (=Hohlraum) nicht ausreichend ausfüllen können.

Am Zahn 36 habe der Beklagte "scheinbar ebenfalls" eine vorhandene Randkaries übersehen. Zwar dürfte die klinische Diagnose durch eine leichte Mesialkippung des benachbarten Zahnes 37 erschwert gewesen sein, allerdings hätten Röntgenaufnahmen für beide Zähne Klarheit gebracht. Im Übrigen wird hinsichtlich des Tatbestandes und der in I. Instanz gestellten Anträge Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG hat die Klage durch Urteil vom 14.7.2011 abgewiesen. Es sei schon nicht feststellbar, ob der Klägerin am 10.7.2006 überhaupt ein Inlay eingesetzt worden sei. Jedenfalls liege keine Schlechtleistung des Beklagten i.S.v. § 280 Abs. 1 BGB vor. Denn der Beklagte habe seine Leistungen noch nicht beendet. Die Klägerin habe ihm nicht die Möglichkeit gegeben, seine zahnprothetischen Leistungen aus dem Jahre 2006 zu beenden. Dem Beklagten sei es damit nicht ermöglicht worden, den Zustand der im Jahr 2006 eingesetzten Zahnprothetik abschließend beurteilen zu können. Entgegen §§ 280 Abs. 3, 281 BGB habe die Klägerin den Beklagten nicht zur Nacherfüll...

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