Entscheidungsstichwort (Thema)
Unberechtigte Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens in Bezug auf eine Baumaßnahme
Leitsatz (amtlich)
1. Verweigert eine Gemeinde unberechtigt und schuldhaft das gemeindliche Einvernehmen für eine Baumaßnahme, so haftet sie dem Bauträger für den durch die hierdurch bedingte Verzögerung entstandenen Vermögensschaden.
2. Auf rechtmäßiges Alternativverhalten kann sich die Gemeinde in diesem Fall nicht berufen.
3. Beruft sich die Gemeinde darüber hinaus auf eine (andere) hypothetische Schadensursache (eine Reserveursache), kann sie damit im Prozess über den Haftungsgrund nicht gehört werden, soweit nur überhaupt ein Schaden entstanden ist; dieser Einwand kann - wenn überhaupt - allenfalls im nachfolgenden Betragsverfahren berücksichtigt werden.
Normenkette
BGB § 839; BauGB § 36 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2; StHG § 1 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Gera (Urteil vom 28.11.2005; Aktenzeichen 2 O 2090/04) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das (Teil- und) Grundurteil des LG Gera vom 28.11.2005 - 2 O 2090/04, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 396.864,78 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die beklagte Gemeinde auf Schadensersatz wegen rechtswidriger Versagung des gemeindlichen Einvernehmens zur Erteilung einer Baugenehmigung für den Umbau von drei Rinderställen zu Schweineställen in Anspruch.
Wegen des Tatbestandes wird zunächst Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 401.318,11 EUR nebst 4 % Zinsen seit dem 2.11.2004 zu zahlen.
Das LG Gera hat durch Teil- und Grundurteil vom 28.11.2005 die Klage abgewiesen, soweit die Klägerin die Beklagte auf Erstattung von Rechtsanwalts- und Gerichtskosten i.H.v. 4.454,35 EUR aus dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren vor dem VG Gera (Az. - 4 K 437/99 GE) in Anspruch genommen hat, und im Übrigen den Klageanspruch (der Amtshaftung) dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Die Beklagte hat gegen dieses ihr am 30.11.2005 zugestellte Urteil mit einem bei dem Berufungsgericht am 21.12.2005 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Diese hat sie - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 28.2.2006 - mit einem am 28.2.2006 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Sie vertritt die Auffassung, es fehle an einer Pflichtverletzung; die Entscheidung des VG Gera entfalte für das vorliegende Verfahren keine Bindungswirkung. Sie - die Beklagte - habe auch nicht schuldhaft gehandelt, denn es sei nicht ihre, sondern die Aufgabe der Klägerin gewesen, ein Gutachten einzuholen; die Richtigkeit des vorgelegten Privatgutachtens habe sie anzweifeln dürfen. Auch unter Berücksichtung der Grundsätze des rechtmäßigen Alternativverhaltens wäre eine Entscheidung der Beklagten nicht anders ausgefallen; das TÜV-Gutachten wäre auch bei früherer Einholung zu keinem anderen Ergebnis gekommen. Die Kausalität sei zu verneinen unter dem Gesichtspunkt der Nachbarwidersprüche, die eingelegt worden wären, einschließlich verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Ein Anspruch aus § 1 StHG scheitere insbesondere daran, dass ein solcher Anspruch nicht den entgangenen Gewinn umfasse. Im Übrigen rügt sie, das LG habe verfahrensfehlerhaft durch den Einzelrichter entschieden.
Die Beklagte beantragt, unter teilweiser Abänderung des (Teil- und) Grundurteils des LG Gera die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Weiteren Vorbringens der Parteien wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung der Beklagten vom 28.2.2006 (Bl. 218 ff. d.A.) und auf die Berufungserwiderung der Klägerin vom 30.3.2006 (Bl. 234 ff. d.A.).
II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig; sie ist statthaft (§ 511 ZPO) und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
Sie hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Das LG hat den Klageanspruch gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG zu Recht dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.
Die Bediensteten der Beklagten haben ihre Amtspflicht dadurch verletzt, dass sie das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB unberechtigt verweigert haben.
Der auf der Planungshoheit beruhenden Beteiligung der Gemeinde am Baugenehmigungsverfahren kann im Falle der Versagung des Einvernehmens eine für den Bauwilligen ausschlaggebende Bedeutung zukommen, weil die Baugenehmigungsbehörde - nach der hier einschlägigen Rechtslage - gehindert ist, eine Baugeneh...