Leitsatz (amtlich)

1. Im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht besteht grundsätzlich die Pflicht, bei allgemeiner Glätte die innerörtlichen Fahrbahnen der Straßen von Schnee und Eis zu beräumen und mit abstumpfenden Mitteln zu bestreuen.

Diese Streupflicht gilt auch für (innerörtliche) Gehwege, auf denen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet.

2. Dabei kann der Straßenbaulastpflichtige - die Gemeinde - grundsätzlich zwischen den verschiedenen Streumitteln das ihm geeignet erscheinende Mittel frei auswählen. Eine Pflicht, diese Auswahl auf Splitt zu beschränken, wenn Tausalz durch die Verbindung mit Schmelzwasser aus Sandstein gefertigte Haussockel der Anlieger gefährdet, besteht jedenfalls dann nicht, wenn das Tausalz verwendungsgerecht auf den Straßenbelag aufgebracht wird.

3. Mangels rechtswidrigen Handelns der streupflichtigen Gemeinde besteht dann auch keine Haftung ggü. den Hauseigentümern wegen der mit dem abfließenden Schmelzwasser, in dem das Tausalz gelöst wird, aus immissionsrechtlichen Gesichtspunkten auf ihr Sacheigentum einwirkenden Gefahr, weil bei ortsüblicher Streuung jeder Anlieger situationsbedingt solche ein bestimmtes zumutbares Maß nicht überschreitende Beeinträchtigungen hinnehmen muss. Das gilt sowohl für den immissionsrechtlichen Anspruch aus § 906 BGB als auch für den Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff.

 

Verfahrensgang

LG Meiningen (Urteil vom 01.02.2005; Aktenzeichen 2 O 1270/03)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Meiningen vom 1.2.2005 - Az.: 2 O 1270/03 - abgeändert: Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Kläger zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die Kläger verlangen Schadensersatz wegen Gebäudeschäden durch streusalzhaltiges Schmelzwasser.

Die Kläger sind Eigentümer eines Wohnhauses in Suhl. Das Gebäude befindet sich in einer Fußgängerzone mit Kopfsteinpflaster in unmittelbarer Nähe zu einer Bushaltestelle. Bei Schnee und Eis hat die Beklagte vor dem Gebäude mit Tausalz gestreut. Durch aus dem Boden aufsteigendes Wasser als verdünnte Kochsalzlösung sind Schäden am Sandsteinsockel des Gebäudes entstanden. Die Kläger verlangen Ersatz ihrer Sanierungskosten i.H.v. 2.575,20 EUR nebst Zinsen. Das LG hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt mit der Begründung, die Beklagte habe pflichtwidrig gehandelt, da sie vor dem Wohnhaus der Kläger kein Streusalz hätte aufbringen dürfen.

Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren erstinstanzlichen Antrag, die Klage abzuweisen, weiter verfolgt.

Im Übrigen wird von der Darstellung des Tatbestands abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO).

Die Berufung ist zulässig; sie ist statthaft und auch im Übrigen in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden.

Sie ist auch begründet.

Die Klage hat keinen Erfolg, weil die Beklagte nicht für am Gebäude der Kläger entstandene Schäden haftet, die auf Einwirkung streusalzhaltigen Schmelzwassers zurückgehen.

Entgegen der Auffassung des LG besteht kein Anspruch der Kläger gegen die beklagte Stadt aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG).

Das LG hat zutreffend erkannt, dass das Streuen an sich nicht amtspflichtwidrig war. Vielmehr bestand für die Beklagte aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (vgl. §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB, 49 Abs. 3 ThürStrG), die in Thüringen hoheitlich ausgestaltet ist (§§ 10 Abs. 1, 43 ThStrG), die Pflicht, den streitgegenständlichen Straßenabschnitt zu räumen. Innerhalb geschlossener Ortschaften sind die Fahrbahnen der Straßen an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen bei Glätte zu bestreuen. Für Fußgänger müssen die Gehwege, soweit auf ihnen ein nicht unbedeutender Verkehr stattfindet, sowie die belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege bestreut werden (BGH, Urt. v. 9.10.2003 - III ZR 8/03, BGHReport 2004, 164 = MDR 2004, 151 = NJW 2003, 3622 ff. [3624] = VersR 2004, 213 ff. [215], m.w.N.). Der streitgegenständliche Straßenabschnitt ist ein solcher Bereich, weil er auch Nutzern öffentlicher Verkehrmittel dient, um zur nahegelegenen Bushaltestelle zu gelangen. Bei entsprechender Witterung ist dann aber eine Streuung aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht nur unvermeidlich, sondern geboten.

Anders als das Erstgericht wird aber vom Senat die Verwendung von Streusalz anstelle von Splitt nicht beanstandet. Die Kläger können unter Hinweis auf die mit streusalzhaltigem Schmelzwasser verbundene Gefahr für den Sandsteinsockel, der sich unmittelbar an die Kopfsteinpflasterung anschließt, nicht verlangen, dass die Beklagte speziell vor ihrem Wohnhaus nur Splitt streut. Der beklagten Stadt, die aufgrund ihrer Lage im Thüringerwald einen erheblichen Winterdienst zu leisten hat, steht es grundsätzlich frei, ob sie die Straßen und Wege bei Schnee und Eis mit Splitt oder mit Tausalz streut, da die Auswahl des Streumittels auch in Thüringen eine po...

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