6.1 Allgemeines
Rz. 77
Der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist ein richterrechtliches Grundprinzip des deutschen Arbeitsrechts und weitgehend unbestritten. Die dogmatische Herleitung variiert. Verbreitet wird – dogmatisch sicherlich angreifbar und in der Formulierung eher verwaschen – auf Art. 3 Abs. 1 GG Bezug genommen. Andere Begründungsansätze sehen im allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz eine Ausprägung der Verteilungsgerechtigkeit, die überall da gesichert werden müsse, wo ein Gemeinschaftsverhältnis besteht, das nach einheitlichen Grundsätzen behandelt wird. Auch gibt es gedankliche Anlehnung an § 315 Abs. 1 BGB, wonach die arbeitsrechtliche Gleichbehandlungspflicht als ein Unterfall der allgemeinen Billigkeits- und Inhaltskontrolle von arbeitsrechtlichen Einheitsregelungen gewertet wird. Ein weiterer Ansatz sieht den Grund der Gleichbehandlungspflicht des Arbeitgebers im Vollzug einer selbst gesetzten Norm; maßgeblich ist die Freiwilligkeit der Leistung und des darin liegenden Normenvollzugs, der einheitlich zu erfolgen habe. In den Instanzgerichten wird der Gleichbehandlungsgrundsatz vor allem als Ausdruck der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, des Grundsatzes von Treu und Glauben bzw. allgemeiner sozialer Gerechtigkeitserwägungen angesehen. Die verschiedenen Begründungen ergänzen sich gegenseitig und münden im allgemeinen Rechtsbewusstsein, wonach Diskriminierung durch den Arbeitgeber verhindert werden soll. Einige gehen daher bereits von einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus.
Rz. 78
Worin auch der Ursprung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gesehen werden mag, Einigkeit besteht über seinen Inhalt und seine Voraussetzungen. Dieser Grundsatz verpflichtet den Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern gleich zu behandeln, soweit sie sich in gleicher oder vergleichbarer Lage befinden. Verboten ist nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung.
6.2 Geltungsbereich
Rz. 79
Voraussetzung der Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist es mithin, dass der Arbeitgeber innerhalb eines bestehenden Arbeitsverhältnisses eine allgemein gültige (= kollektive) Regelung trifft.
6.2.1 Maßnahmen mit kollektivem Bezug
Rz. 80
Dem Gleichbehandlungsgrundsatz unterfallen alle Maßnahmen und Entscheidungen des Arbeitgebers, die einen kollektiven Bezug haben, die sich also nicht allein in der einzelfall- und einzelpersonbezogenen Regelung erschöpfen. Erfasst werden vertragliche Vereinbarungen, insbesondere arbeitsvertragliche Einheitsregelungen und Gesamtzusagen, aber auch die Ausübung des Direktionsrechts.
Rz. 81
Ob die Maßnahme kollektiven Bezug hat, kann nicht allein durch die Verhältniszahlen der jeweils begünstigten und benachteiligten Arbeitnehmer ermittelt werden, sondern entscheidet sich danach, ob der Arbeitgeber nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung handelt und dazu bestimmte Voraussetzungen oder Zwecke festlegt. Eine wesentliche Erweiterung stellt die neuere Rspr. dar, wonach der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz grundsätzlich auch dann anwendbar ist, wenn der Arbeitgeber – nicht auf besondere Einzelfälle beschränkt – nach Gutdünken oder nach nicht sachgerechten oder nicht bestimmbaren Kriterien leistet.
Auch dann schafft er freilich keinen kollektiven Bezug. Es ist dann auch fraglich, welche Rechtsfolge eintreten soll, denn eine Leistung, die nach Gutdünken dem einen Arbeitnehmer mit 100 Euro, dem anderen mit 200 Euro gewährt wird, lässt offen, mit wem Gleichbehandlung erfolgen soll.
Einer Maßnahme fehlt der kollektive Bezug, wenn sie individuell mit dem Arbeitnehmer ausgehandelt wurde.
6.2.2 Bestehendes Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Rz. 82
Das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, innerhalb dessen der Gleichbehandlungsgrundsatz Anwendung findet, ist regelmäßig das Arbeitsverhältnis. Darüber hinaus besteht ein Anspruch auf Gleichbehandlung im Ruhestandsverhä...