Rz. 13
Das nationale Gericht steht damit vor der Aufgabe, die fehlende ausdrückliche Umsetzung im Kündigungsbereich so weit wie möglich zu kompensieren. Eine unmittelbare Berufung auf die Richtlinie scheidet aus. Das BAG hat sich dieser Aufgabe gestellt: die Vorgaben des AGG sind in die Generalklauseln des § 242 BGB und des § 1 KSchG als Konkretisierung des Sozialwidrigkeitsbegriffs hineinzulegen, denn Zweck des § 2 Abs. 4 AGG ist es nur, sicherzustellen, dass durch das AGG nicht neben das bisherige ein "2. Kündigungsrecht", also eine besondere “Diskriminierungsklage“ neben die Kündigungsschutzklage, tritt. Insofern ist eine richtlinienkonforme Auslegung der Norm durch diese Anwendung möglich. Probleme stellen sich allerdings dort, wo sie eine entsprechende Auslegung nicht mehr vornehmen können, sei es, weil der Wortlaut prohibitiv oder weil die etablierte Auslegung zu weit weg vom europarechtskonformen Ziel ist.
Rz. 14
Schwieriger noch zu beurteilen ist es, ob es daher darüber hinaus zu einer Anwendung des AGG selbst kommen kann, ungeachtet des ausdrücklichen Ausschlusses, und daher auch ein Schadensersatzanspruch für Nichtvermögensschäden nach § 15 Abs. 2 AGG zugesprochen werden kann. Das BAG ist diesen Weg lange nicht gegangen, jedoch könnte dies eine Konsequenz der Entscheidung Mangold und Kücükdeveci sein. Im Bereich der Umsetzung europäischer Richtlinien greift der primärrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz. Gleiches darf nicht ohne sachlichen Grund ungleich geregelt werden. Nun ist die Kündigung, anders als anderes Arbeitgeberverhalten, aus dem Anwendungsbereich des AGG herausgenommen und es ist fraglich, ob es hierfür einen sachlichen Grund gibt. Ferner könnte eine solche Anwendung aus der durch das BAG vorgegebenen Auslegung des § 2 Abs. 4 AGG resultieren. Die Regelung soll ihrem Sinn und Zweck entsprechend gerade keine umfassende Sperre begründen. Aus diesem Grund hat das BAG inzwischen zwar nicht die direkte Anwendung des AGG auf Kündigungen im Anwendungsbereich des KSchG, jedoch die Zulässigkeit von Ansprüchen nach § 15 Abs. 2 AGG auf Entschädigung wegen Schäden, die nicht Vermögensschäden sind, auch im Fall einer sozial nicht gerechtfertigten Kündigung, anerkannt. Ob insofern auch Ansprüche aus § 15 Abs. 1 AGG bestehen, hat das Gericht zwar offengelassen, jedoch angemerkt, dass solche Schäden in Anbetracht des Anspruchs auf Verzugslohn nach § 615 BGB regelmäßig nicht bestehen werden.
Rz. 15
Wem eine solche weitgehende Auslegung in Anbetracht der bestehenden Umsetzungslücken allerdings nicht reicht, der wird aufgrund der dann bestehenden Europarechtswidrigkeit zu einer Unanwendbarkeit des Ausschlusses kommen. Die daraus resultierenden Folgen für die gerichtliche Praxis sind wiederum nicht eindeutig zu bestimmen. Vieles spricht dafür, dass die deutschen Gerichte den Ausschluss unbeachtet lassen können, um den Richtlinien zur vollen Wirksamkeit zu verhelfen und insbesondere um das Gebot effektiver Sanktionierung zu realisieren. Ob eine solche Anwendung tatsächlich für das nationale Recht geboten ist, ist umstritten. Die Rechtsprechung hat sich weitestgehend den Vorgaben des EuGH angeschlossen und lässt eine entsprechende Regelung bei nicht möglicher europarechtskonformer Auslegbarkeit unangewendet. In der Literatur hingegen ist die Entscheidung nicht unumstritten geblieben. Kritisiert wird insbesondere, die Entscheidung sei ein ausbrechender Rechtsakt und nicht mehr von den Verträgen gedeckt und die Unionsgrundrechte würden zu weit in die nationalen Rechte ausgeweitet. Eine ultra-vires Kontrolle komme nur bei hinreichend qualifiziertem Kompetenzverstoß in Betracht, dazu muss das Handeln offensichtlich kompetenzwidrig sein. Ein solcher Verstoß liegt nach der Ansicht des BVerfG in der Nichtanwendung der Norm nicht vor.