1.1.4.1 Störung der Geschäftsgrundlage

 

Rz. 86

Von einer Störung der Geschäftsgrundlage spricht man, wenn sich die Umstände, die Vertragsgrundlage geworden sind, nach Vertragsschluss geändert haben.

 

Rz. 87

Außerhalb des Arbeitsrechts gilt: Der Vertrag wird grds. nicht aufgelöst, sondern den veränderten Verhältnissen angepasst, vgl. § 313 Abs. 1 BGB. Ist die Anpassung nicht möglich oder einer Partei nicht zuzumuten, kann die benachteiligte Partei ausnahmsweise vom Vertrag zurücktreten oder das Dauerschuldverhältnis kündigen (vgl. § 313 Abs. 3 BGB).

 

Rz. 88

Im Arbeitsrecht ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift gering, weil bei veränderten Umständen eine Änderungskündigung (Kündigung des Arbeitsvertrags verbunden mit dem Angebot, das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortzusetzen, vgl. § 2 KSchG) ausgesprochen werden kann und muss.

Die Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB kommt lediglich dort in Betracht, wo eine Kündigung überhaupt nicht möglich ist, z. B. bei der Anpassung betrieblicher Ruhegelder an geänderte Verhältnisse.[1]

Die endgültige Beendigung eines Arbeitsverhältnisses entsprechend § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB kommt nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht (Krieg, Verschleppung etc.), wenn der Zweck des Arbeitsvertrags durch äußere Ereignisse endgültig oder doch für unabsehbare Zeit unerreichbar geworden ist.[2]

[1] ErfK/Preis, § 611a BGB Rz. 407.
[2] Vgl. BAG, Urteil v. 24.8.1995, 8 AZR 134/94.

1.1.4.2 Rücktritt

 

Rz. 89

Das Arbeitsverhältnis kann nicht durch Rücktritt vom Arbeitsvertrag nach §§ 346 ff. BGB enden, weil das Rücktrittsrecht bei Dauerschuldverhältnissen durch das Recht zur Kündigung verdrängt wird, vgl. § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB.

1.1.4.3 Abmahnung

 

Rz. 90

Mit der Abmahnung macht der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer deutlich, dass er an einem bestimmten Verhalten Anstoß nimmt (Rügefunktion) und dass eine Wiederholung den Inhalt oder den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (Warnfunktion). Die Abmahnung beendet also das Arbeitsverhältnis noch nicht, sondern bereitet allenfalls eine Kündigung vor.

1.1.4.4 Dauernde Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers

 

Rz. 91

Die dauernde Arbeitsunfähigkeit führt nicht automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, kann aber eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen.[1]

[1] Vgl. Volk, § 1 Rz. 613.

1.1.4.5 Erreichen einer bestimmten Altersgrenze durch den Arbeitnehmer

 

Rz. 92

Erreicht der Arbeitnehmer eine bestimmte Altersgrenze, führt dies nicht automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

Eine Kündigung durch den Arbeitgeber kann nicht allein auf das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze gestützt werden (vgl. § 41 Satz 1 SGB VI).

Ist eine betriebsbedingte Kündigung erforderlich, wird das Lebensalter im Rahmen der Sozialauswahl berücksichtigt (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG). Typischerweise sind ältere Arbeitnehmer mehr schutzbedürftig als jüngere Arbeitnehmer. Hat ein Arbeitnehmer aber bereits das Rentenalter erreicht und bezieht er sogar eine Altersrente, ist er – jedenfalls in Bezug auf dieses Auswahlkriterium – deutlich weniger schutzbedürftig.[1]

Es kann auch eine entsprechende Befristung im Arbeitsvertrag, in einer Betriebsvereinbarung[2] oder einem Tarifvertrag enthalten sein. Das BAG sieht die Altersgrenze nicht mehr als auflösende Bedingung an.[3] Die Altersgrenze ist vielmehr eine zeitliche Höchstbefristung.[4] Fraglich ist damit, ob die ordentliche Kündigung nach § 15 Abs. 3 TzBfG ausgeschlossen ist, wenn die Kündigungsmöglichkeit nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Teilweise wird angenommen, es handle sich zwar um ein befristetes Arbeitsverhältnis, aber keines i. S. d. TzBfG, oder es sei als unbefristet anzusehen, sodass die ordentliche Kündigung ohne Weiteres möglich ist.[5] Nach anderer Ansicht greift jedenfalls die Kündigungsmöglichkeit nach § 15 Abs. 4 TzBfG (Kündigung nach Ablauf von 5 Jahren mit einer Frist von 6 Monaten).[6]

 

Rz. 93

Um zu verhindern, dass das Kündigungsverbot nach § 41 Satz 1 SGB VI umgangen wird, muss für die Befristung ein sachlicher Grund vorliegen. Das allgemeine Interesse des Arbeitgebers (er will z. B. eine zuverlässige Personalplanung und eine ausgewogene Altersstruktur, möchte Aufstiegschancen eröffnen und damit Leistungs- und Motivationsanreize setzen) hat Vorrang vor dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitnehmer durch den Bezug der Regelaltersrente wirtschaftlich abgesichert ist. Dabei kommt es nicht auf die konkrete wirtschaftliche Situation des Arbeitnehmers im Einzelfall an.[7]

 

Beispiel

Folgende Regelung (§ 32 Abs. 1a BAT-KF a. F. mit Wirkung einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung) hat das BAG als wirksam angesehen, auch vor dem Hintergrund des § 10 Satz 3 Nr. 5, Sätze 1 und 2 AGG[8]:

"Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem die/der Mitarbeitende das Lebensalter zum Anspruch auf die Regelaltersrente (§ 35 SGB VI) erreicht hat."

Demgegenüber hat das BAG jedoch eine Betriebsvereinbarung beanstandet, die erstmals eine Befristung auf die Regelaltersgrenze ohne Übergangsregelung für rentennahe Jahrgänge einführte.[9] Die Betriebsparteien sind nämlich wie der Gesetzgeber an das rechtsstaatliche Gebot des Vertrauensschutzes ...

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