Cesare Vannucchi, Dr. Brigitta Liebscher
Rz. 822
Die Frage, ob Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte im Rahmen der Sozialauswahl miteinander vergleichbar sind, hat das BAG erstmalig 1998 entschieden. Damals entschied das BAG, dass die Frage, ob bei der Kündigung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer Vollzeitbeschäftigte und bei der Kündigung vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer Teilzeitbeschäftigte in die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG einzubeziehen sind, von der betrieblichen Organisation abhängt.
Hat der Arbeitgeber eine Organisationsentscheidung getroffen, aufgrund derer bestimmte Arbeiten ausschließlich für Vollzeitkräfte vorgesehen sind, so kann diese Entscheidung als sog. freie Unternehmerentscheidung nur darauf überprüft werden, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Liegt eine bindende Unternehmerentscheidung vor, sind bei der Kündigung einer Teilzeitkraft die Vollzeitkräfte nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen.
Will der Arbeitgeber hingegen in einem bestimmten Bereich lediglich die Zahl der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden abbauen, ohne dass eine Organisationsentscheidung i. S. einer freien Unternehmerentscheidung vorliegt, sind sämtliche in diesem Bereich beschäftigte Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf ihr Arbeitszeitvolumen in die Sozialauswahl einzubeziehen. Diese Grundsätze gelten auch im öffentlichen Dienst.
Rz. 823
Seine Rechtsprechung hat das BAG in einer Entscheidung aus dem Jahr 2004 bestätigt. Demnach ist zu differenzieren: Reduziert sich aufgrund einer arbeitgeberseitigen Organisationsentscheidung lediglich das Arbeitsvolumen bzw. das Stundenkontingent im Betrieb, so sind teilzeit- und vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl miteinander vergleichbar. Anders ist zu werten, wenn die Unternehmerentscheidung ergeht, dass bestimmte Tätigkeiten nur noch von Vollzeitkräften erledigt werden sollen. Hier sind teilzeit- und vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nicht miteinander vergleichbar. Diese Grundsätze gelten auch für den Vergleich von Teilzeitbeschäftigten mit unterschiedlichen Stundenzahlen untereinander.
Beispiel
Bei einem Reinigungsunternehmen sind die Reinigungskräfte nicht austauschbar i. S. v. § 1 Abs. 3 KSchG, wenn sie mit einem erheblich unterschiedlichen Arbeitsumfang beschäftigt werden (einerseits 6 Stunden pro Tag, andererseits 2 Stunden pro Tag). Die Unklarheit darüber, ob in dem Unternehmen andere Reinigungskräfte mit gleichem Arbeitsumfang tätig sind, geht zulasten des Arbeitnehmers.
Rz. 824
Sofern teilzeit- und vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer miteinander zu vergleichen sind, richtet sich die Vergleichbarkeit nach allgemeinen Kriterien. Unabhängig von der Zahl der Wochenarbeitsstunden der in die Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer, ist den sozial stärksten Arbeitnehmern vorrangig zu kündigen (zu den einzelnen Sozialauswahlkriterien und den Punkteschemata des BAG s. Rz. 831 ff.).
Beispiel
Ein Arbeitnehmer möchte in seinem Betrieb 100 Arbeitsstunden pro Woche abbauen. 7 Arbeitnehmer, einige von ihnen voll-, andere teilzeitbeschäftigt, sind in die Sozialauswahl einzubeziehen:
Arbeitnehmer |
Wochenstunden |
Punkte |
Kündigung? |
A |
40 |
78 |
Nein |
B |
15 |
66 |
Nein |
C |
30 |
60 |
Nein |
D |
40 |
57 |
Änderungskündigung auf 25 Stunden/Woche |
E |
15 |
40 |
Ja |
F |
30 |
30 |
Ja |
G |
40 |
27 |
Ja |
A, B und C sind – wie an der Punktzahl zu erkennen ist – die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmer. Die Arbeitnehmer D, E, F und G kommen zusammen auf ein Stundenvolumen von 125 Stunden pro Woche. Bei einem Abbauvolumen von 100 Stunden pro Wochen bleibt für D, als den sozial Schwächsten von ihnen, eine Wochenarbeitszeit von 25 Stunden erhalten. Der Stundenabbau für D kann im Wege einer Änderungskündigung durchgesetzt werden. E, F und G fallen dem Stundenabbau zum Opfer und stehen dem freien Arbeitsmarkt wieder zur Verfügung.