Cesare Vannucchi, Dr. Marcel Holthusen
Rz. 837
Auch im Fall eines Betriebsübergangs gem. § 613a BGB sind die Beschäftigungszeiten der Arbeitnehmer im früheren (übergegangenen) Betrieb zu berücksichtigen. Die Vorschrift des § 613a Abs. 1 BGB setzt den rechtsgeschäftlichen Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Inhaber unter Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit voraus. Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit bezieht sich dabei auf eine organisatorische Gesamtheit von Personen und Sachen, die auf Dauer angelegt und deren Zweck die Verfolgung eines wirtschaftlichen Ziels ist. Der Übergang eines Betriebsteils steht für dessen Arbeitnehmer dem Betriebsübergang gleich. Auch beim Erwerb eines Betriebsteils ist es erforderlich, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt. Bei den übertragenen Betriebsmitteln muss es sich um eine organisatorische Untergliederung handeln, mit der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wird.
Rz. 838
Nach der Rechtsprechung des BAG sind bei einem Betriebsinhaberwechsel die beim Betriebsveräußerer erbrachten Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG für eine vom Betriebsübernehmer ausgesprochene Kündigung zu berücksichtigen, und zwar auch dann, wenn zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs das Arbeitsverhältnis kurzfristig unterbrochen war, die Arbeitsverhältnisse aber in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen. Die Anrechnung der Beschäftigungszeiten aus einem früheren, mit dem neuen in einem engen sachlichen Zusammenhang stehenden Arbeitsverhältnis auf die Wartezeit entspricht dem sozialen Schutzzweck des Kündigungsschutzgesetzes.
Entsprechendes gilt für die Berechnung der Kündigungsfristen: Auch hier sind die Beschäftigungszeiten zusammenzurechnen, sofern ein hinreichend enger innerer Zusammenhang zwischen den beiden – rechtlich getrennten – Arbeitsverhältnissen vorliegt. Ein anderes Verständnis würde dem gesetzgeberischen Zweck der gesetzlichen Kündigungsfristen zuwiderlaufen, denn mit zunehmender Betriebszugehörigkeit wird der Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses erhöht und der entsprechenden sozialen Schutzfunktion Genüge getan.
Im Interesse der Einheit der Rechtsordnung ist es deshalb geboten, den Einfluss von rechtlichen Unterbrechungen des Arbeitsverhältnisses sowohl bei der gesetzlichen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG als auch bei der Berechnung der Kündigungsfrist nach § 622 Abs. 2 BGB gleich zu behandeln. Diese Wertungen sind auf die Situation des (Teil-)Betriebsübergangs zu übertragen. Demnach ist bei Vorliegen der o. g. Voraussetzungen auch im Fall eines (Teil-)Betriebsübergangs die Beschäftigungsdauer eines früheren Arbeitsverhältnisses im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen. Nur ein solches Verständnis entspricht dem Schutzzweck des § 613a Abs. 1 BGB sowie der Richtlinie 77/187 EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen bzw. deren Ergänzung durch die Richtlinie EG 98/50. Demnach sollen den Arbeitnehmern eines Betriebs im Fall eines Inhaberwechsels ihre Rechte erhalten bleiben. Durch die Regelungen soll verhindert werden, dass aufgrund einer Betriebsveräußerung die Besitzstände der Arbeitnehmer abgebaut werden. Ein Unternehmer, der einen Betrieb übernimmt, ist aufgrund des Betriebsübergangs so zu behandeln, als würden die arbeitsrechtlichen Beziehungen des Arbeitnehmers zum Betriebsveräußerer weiterhin bestehen. Die Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers im früheren und im neuen Betrieb sind daher zu addieren.