3.1 Wesentliche Nachteile
Rz. 7
§ 111 Abs. 1 Satz 1 BetrVG enthält eine allgemeine Festlegung, was eine Betriebsänderung ist. Der Begriff "Betriebsänderung" selbst wird dabei nicht definiert. Ob eine solche überhaupt erforderlich ist, ist in der Literatur stark umstritten. Die wohl herrschende Meinung folgert aus der Formulierung der Einleitung in § 111 Satz 3 BetrVG, dass die dortige Aufzählung der Betriebsänderungen einen erschöpfenden Katalog der beteiligungspflichtigen Betriebsänderungen bildet, neben dem die allgemeine Definition keinen praktischen Anwendungsbereich mehr hat. Grundsätzlich wäre unter "Betriebsänderung" jede Änderung der betrieblichen Organisation (Struktur, Tätigkeitsbereich, Arbeitsweise, Fertigung usw.) zu verstehen. Für die Praxis ist diese Frage weniger bedeutsam, dann durch die Aufzählung in § 111 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 5 BetrVG die praxisrelevanten Fälle erfasst sind und zudem in diesen Fälle die Möglichkeit von wesentlichen Nachteilen für die Arbeitnehmer unterstellt wird.
Rz. 8
Merkmal einer Betriebsänderung ist, dass sie wesentliche Nachtteile der Belegschaft oder zumindest erheblicher Teile der Belegschaft zur Folge haben kann. Ein wesentlicher Nachteil ist zunächst der Verlust des Arbeitsplatzes. Aber auch andere Beeinträchtigungen können wesentliche Nachteile sein wie ein weiterer Weg zur Arbeit, Einkommensverlust, neue Anforderungen an die Tätigkeit oder eine Leistungsverdichtung. Trifft eine Betriebsänderung mit einem Betriebsübergang zusammen, so stellen die Folgen des Betriebsübergangs selbst keine wesentlichen Nachteile dar, die bei der Mitbestimmung über Betriebsänderungen eine Rolle spielen können; selbst die Gefahr der Verringerung der Haftungsmasse durch Übergang des Betriebs auf einen weniger solventen Arbeitgeber stellt keinen wesentlichen Nachteil i. S. d. § 111 Satz 1 BetrVG dar.
Die Betriebsänderung muss lediglich wesentliche Nachteile für die Belegschaft zur Folge haben können. Ob sie wirklich eintreten, ist irrelevant für das Mitbestimmungsrecht. In der Literatur ist zudem umstritten, ob dieses Merkmal eigenständige Bedeutung hat. Die Rechtsprechung verneint dies und hält die Prüfung für überflüssig, da aus der Formulierung abzuleiten ist, dass die in Satz 3 genannten Fälle als "Betriebsänderungen im Sinne des Satzes 1" gelten abzuleiten ist, dass der Gesetzgeber bei diesen Maßnahmen die Gefahr wesentlicher Nachteile für die Belegschaft unterstellt hat und daher nicht als zusätzliche Voraussetzung zu prüfen ist, ob die Maßnahme wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben kann.
Für die Praxis ist daher nicht die Frage möglicher Nachteile bedeutsam, sondern die Frage, wie viel Arbeitnehmern ein solcher Nachtteil drohen kann. Hier enthält die Definition der Betriebsänderung auch ein quantitatives Element – diese Nachteile müssen für die ganze Belegschaft oder erhebliche Teile davon möglich sein.
Nach der Rechtsprechung des LAG Baden-Württemberg liegt eine Betriebsänderung nur vor, wenn bereits konkrete Pläne, die einen der Tatbestände des § 111 Satz 3 Nr. 1-5 BetrVG erfüllen, etwa zum Personalabbau, bestehen. Die unternehmerische Entscheidung, ein Nachfolgeprodukt an einem anderen Produktionsstandort zu fertigen, stellt danach für sich allein noch keine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG dar.
3.2 Erhebliche Teile der Belegschaft
Rz. 9
Die Betriebsänderung muss sich auf die gesamte Belegschaft oder erhebliche Teile von ihr auswirken können. Maßgeblich sind hier die Beschäftigten des betroffenen Betriebs. Zur Beurteilung, welcher Teil der Belegschaft erheblich ist, wird die Zahlenstaffel des § 17 Abs. 1 KSchG herangezogen. Für größere Betriebe verbleibt es allerdings nicht bei der Höchstgrenze des § 17 Abs. 1 Nr. 3 KSchG von 30 Arbeitnehmern. Es müssen mindestens 5 % der Belegschaft betroffen sein. Daraus ergibt sich folgende Zahlenstaffel:
Betriebsgröße |
Mindestzahl betroffener Arbeitnehmer |
21 – 59 Arbeitnehmer |
6 Arbeitnehmer |
60 – 249 Arbeitnehmer |
10 % der Arbeitnehmer |
250 – 499 Arbeitnehmer |
26 Arbeitnehmer |
500 – 599 Arbeitnehmer |
30 Arbeitnehmer |
ab 600 Arbeitnehmer |
5 % der Arbeitnehmer |
Hat das Unternehmen mehr als 20 Arbeitnehmer, der Betrieb aber weniger, stellt eine Maßnahme eine Betriebsänderung dar, wenn sie wenigstens 6 Arbeitnehmer des Betriebs betrifft. Anders als nach § 17 Abs. 1 KSchG kommt es nicht darauf an, dass die Arbeitnehmer innerhalb von 30 Tagen nachteilig betroffen werden. Diese zeitliche Grenze ist im Rahmen des § 111 BetrVG irrelevant. Maßgeblich ist allein die durch die konkrete geplante Betriebsänderung insgesamt betroffene Zahl von Arbeitnehmern des Betriebes. Da...