Rz. 114
Gemäß § 112 Nr. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG ist die Einigungsstelle verpflichtet, bei der Bemessung der Leistungen nach dem Sozialplan die Aussichten betroffener Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Dabei sind insbesondere die Förderungsmöglichkeiten zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit gemäß § 112 Abs. 5 Nr. 2a BetrVG (s. u.) zu berücksichtigen.
Rz. 115
Maßgeblich für die Beurteilung ist der Zeitpunkt der Aufstellung des Sozialplans. Da zu dieser Zeit in aller Regel noch nicht feststeht, ob und wie lange betroffene Arbeitnehmer arbeitslos sein werden, hat die Beurteilung aufgrund einer Prognose zu erfolgen. Dabei sind individuelle Gesichtspunkte (Alter, Gesundheitszustand, Ausbildung) ebenso wie die Arbeitsmarktsituation zu berücksichtigen (Höhe und Grad der Arbeitslosigkeit in der Region, Art und Umfang der offenen Stellen; BAG, Urteil v. 23.8.1988, 1 AZR 284/87).
Rz. 116
Für Arbeitnehmer, die bereits eine neue Arbeit gefunden haben, sind die mit der Entlassung verbundenen wirtschaftlichen Nachteile in der Regel deutlich geringer als für Arbeitnehmer, die keine neue Beschäftigung haben. Entsprechend ist dies bei der Festsetzung der Abfindung nach dem Sozialplan zu berücksichtigen. Arbeitnehmer, die ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen sind, können in zulässiger Weise in einem Sozialplan sogar ganz von den Leistungen ausgenommen werden (BAG, Urteil v. 12.5.1995, 10 AZR 127/95). Gleiches gilt, wenn Arbeitnehmer ein ihnen angebotenes, zumutbares Arbeitsverhältnis im Betrieb, Unternehmen oder Konzern nicht eingegangen sind; auch sie können in zulässiger Weise von den Leistungen nach einem Sozialplan ausgenommen werden (BAG, Urteil v. 8.12.1976, 5 AZR 613/75). In gleicher Weise kann bei Arbeitnehmern, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a Abs. 6 BGB widersprochen haben, verfahren werden; nach der Rechtsprechung des BAG ist die Weiterbeschäftigung beim Betriebserwerber nach einem Betriebsübergang gemäß § 613a Abs. 6 BGB dem Arbeitnehmer zumutbar (BAG, Urteil v. 5.2.1997, 10 AZR 553/96).
Rz. 117
Ziel einer Sozialplanregelung muss stets sein, Arbeitsplätze zu erhalten (BAG, Beschluss v. 28.9.1988, 1 ABR 23/87). Deshalb ist es zulässig, einen Sozialplan so zu gestalten, dass er einen Anreiz dafür schafft, einen anderen Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb des Arbeitgebers anzunehmen.
Rz. 118
Zumutbar ist nach der Rechtsprechung des BAG nicht nur ein völlig gleichwertiger, sondern auch ein Arbeitsplatz mit etwas geringerer Wertigkeit (BAG, Beschluss v. 28.9.1988, 1 ABR 23/87). So muss der Arbeitnehmer etwa eine etwas geringere Vergütung hinnehmen; tut er dies nicht, kann der Anspruch auf Abfindung ausgeschlossen werden. Gleiches gilt, wenn der angebotene neue Arbeitsplatz mit weniger Überstunden und damit auch weniger Überstundenausgleich verbunden ist oder wenn der angebotene Arbeitsplatz entsprechend der beruflichen Qualifikation des betroffenen Arbeitnehmers innerhalb der Hierarchie des Unternehmens niedriger eingestuft ist.
Die Tatsache, dass die Annahme eines angebotenen Arbeitsplatzes mit einem Ortswechsel verbunden sein kann, schließt die Zumutbarkeit dieses Arbeitsplatzes nicht per se aus. Dies ist in § 112 Nr. 5 Satz 2 Nr. 2 2. Halbsatz BetrVG ausdrücklich festgeschrieben. Wann genau ein angebotener anderer Arbeitsplatz zumutbar ist, kann die Einigungsstelle durch ihren Spruch festlegen. Dabei ist sie nicht an die Zumutbarkeitsregeln des § 140 SGB II gebunden, sondern definiert die Zumutbarkeit selbst. Die Kriterien des § 140 SGB III sind aber die äußerste Grenze der Zumutbarkeit.
Rz. 119
Die Einigungsstelle ebenso wenig wie die Betriebspartner müssen auch nicht auf andere persönliche Gründe eines Arbeitnehmers, etwa die Tatsache eines eigenen Hauses, der Berufstätigkeit des Ehepartners etc. bei der Beurteilung der Frage, ob ein Wechsel des Arbeitsortes zumutbar ist, Rücksicht nehmen. Auch diese Gründe, die zwar persönlich nachvollziehbar sein mögen, führen nicht dazu, dass ein Arbeitsplatz an einem anderen Ort per se unzumutbar ist.
Rz. 120
Die Bestimmung macht deutlich, dass Kernziel des Sozialplans nicht möglichst hohe Abfindungsregelungen, sondern Arbeitsplätze für die von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmern sein soll. Allerdings kann die Einigungsstelle nicht als Teil des Sozialplans gegen den Willen des Arbeitgebers beschließen, dass Arbeitsplätze im Rahmen der Betriebsänderung erhalten oder anderweitig geschaffen werden. Diese Regelungen wären als Teil der Betriebsänderung Gegenstand des freiwilligen Interessenausgleichs, lägen also außerhalb der Beschlusskompetenz der Einigungsstelle.