Rz. 14
Das Gesetz schweigt zu den Folgen von Verstößen. Das Bundesarbeitsgericht nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass Verstöße gegen Verfahrensvorschriften, die für das ordnungsgemäße Zustandekommen eines Betriebsratsbeschlusses als wesentlich anzusehen sind, zu dessen Unwirksamkeit führen. Nicht jeder Verstoß gegen die formellen Anforderungen einer ordnungsgemäßen Betriebsratssitzung bewirkt allerdings die Unwirksamkeit eines darin gefassten Beschlusses, sondern nur ein solcher, der so schwerwiegend ist, dass der Fortbestand des Beschlusses von der Rechtsordnung nicht hingenommen werden kann. Ob die Verletzung der durch die Verfahrensvorschrift geschützten Interessen stärker zu gewichten ist als das Interesse an der Aufrechterhaltung des Beschlusses, ist anhand des Regelungszwecks der Norm zu bestimmen. Dies kommt typischerweise bei groben Verstößen gegen wesentliche Verfahrensvorschriften in Betracht. Bis zur Regelung des § 129 BetrVG waren Betriebsratsbeschlüsse, die unter Nutzung von virtueller Konferenztechnik gefasst wurden unwirksam, sodass sich daraus ableiten lässt, dass der Vorrang der Präsenzsitzung eine wesentliche Verfahrensvorschrift ist. Die Beachtung des Vorrangs der Präsenzsitzung ist daher eine solche wesentliche Verfahrensvorschrift. Diese Auffassung stützt sich auch darauf, dass die Betriebsratsmitglieder die Möglichkeit der uneingeschränkten Kommunikation untereinander haben sollen, dies hat in der Arbeit des Betriebsratsgremiums einen hohen Stellenwert. Die enge und geschützte Kommunikationsmöglichkeit der Betriebsratsmitglieder ist ein wesentlicher Grundpfeiler der Meinungsbildung im Gremium; es ist ein Unterschied, ob die Betriebsratsmitglieder vor einer Beschlussfassung die Gelegenheit haben, auch untereinander einen informellen Austausch zur Meinungsbildung zu pflegen.
Ohne eine entsprechende Regelung in der Geschäftsordnung ist daher eine virtuelle Sitzungsteilnahme nicht zulässig. Bei Nichteinhaltung entsprechender Regelungen sind die vom Betriebsrat gefassten Beschlüsse demzufolge unwirksam. In diesem Fall war nämlich das lediglich zugeschaltete Betriebsratsmitglied (oder der ganze Betriebsrat) nicht "anwesend". Sofern sie verhindert waren, z.B. durch Ortsabwesenheit, hätte für sie ein Ersatzmitglied geladen werden müssen. Allein der Umstand, dass dies unterblieben ist, führt zur Unwirksamkeit des Beschlusses (siehe § 29 Rz. 5). Aber selbst wenn kein Fall der Verhinderung vorgelegen hat, liegt in einem solchen Fall ein Verstoß gegen eine wesentliche Verfahrensvorschrift vor.
Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass die Geschäftsordnung zwar Regelungen über die virtuelle Teilnahme an Betriebsratssitzungen enthält, diese Regelungen aber den gesetzlichen Vorgaben des § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BetrVG nicht genügen. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die in diesen virtuellen Sitzungen gefassten Beschlüsse unwirksam sind. Dem ist jedoch nicht so: § 33 Abs. 1 Satz 2 BetrVG regelt "ohne wenn und aber", dass die virtuell teilnehmenden Betriebsratsmitglieder "anwesend" sind und macht keine Vorbehalte, auch nicht etwa den Vorbehalt, dass die Geschäftsordnung rechtsgültige und damit wirksame Regelungen beinhaltet. Zudem hat der Gesetzgeber durch § 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BetrVG eine weitere Sicherung der Präsenzsitzung vorgenommen, in dem er einer qualifizierten Minderheit der Betriebsratsmitglieder ein Widerspruchsrecht gegen eine virtuelle Teilnahme eingeräumt hat. Daher besteht keine Notwendigkeit, die Betriebsratsbeschlüsse im Falle einer unzureichenden Regelung in der Geschäftsordnung für unwirksam zu erklären. Hierzu werden aber auch andere Auffassungen vertreten. Daher sollten Betriebsräte darauf achten, dass die Regelungen der Geschäftsordnung genau eingehalten werden.
Jedenfalls dann, wenn alle Betriebsratsmitglieder vollständig an der (virtuellen) Sitzung teilnehmen und niemand gegen die Art der Sitzung einen Widerspruch erhebt, sollte eine Unwirksamkeit eines Beschlusses ausnahmsweise nicht vorliegen, denn das Bundesarbeitsgericht lässt auch bei unterbliebener korrekter Einladung zu einer Betriebsratssitzung die Wirksamkeit der Beschlüsse nicht scheitern, wenn alle Betriebsratsmitglieder teilnehmen und nicht widersprechen. Dieser Gedanke ist auch hier anzuwenden.