Rz. 17
Neben dem Erfordernis der "unmittelbaren Betroffenheit" wird eine weitere Schranke durch den in § 45 Satz 1 2. HS BetrVG erfolgten Verweis auf die Grundsätze der betriebsverfassungsrechtlichen Friedensordnung geschaffen. Die dort genannten Verbote, Verbot von Arbeitskämpfen, der Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens sowie das Verbot der parteipolitischen Betätigung, gelten auch für die Betriebsversammlung. Dabei kann sowohl durch die Themenwahl als auch durch die Art und Weise der Durchführung der Betriebsversammlung gegen diese Grundsätze verstoßen werden.
Rz. 18
Diese Schranke richtet sich nicht nur an die in § 74 Abs. 2 BetrVG genannten Adressaten, nämlich Arbeitgeber und Betriebsrat, sondern an alle Teilnehmer der Betriebsversammlung. Dies folgt bereits daraus, dass es anderenfalls des Verweises auf § 74 Abs. 2 BetrVG nicht bedürfte und er mithin ohne Bedeutung wäre. Der Versammlungsleiter hat mit seiner Leitungsgewalt im Rahmen der Betriebsversammlung dafür zu sorgen, dass sämtliche Teilnehmer den Geboten Rechnung tragen.
3.1 Verbot von Arbeitskampfmaßnahmen
Rz. 19
Gemäß § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG sind Maßnahmen des Arbeitskampfs zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unzulässig. Aus der entsprechenden Anwendung folgt, dass auch die Betriebsversammlung sich jeglicher arbeitskampfbezogenen Äußerung und Maßnahme zu enthalten hat.
Beispiele
Unzulässig sind deshalb etwa
- Abstimmungen über die Durchführung von Arbeitsniederlegungen,
- die Verabschiedung einer Resolution in Bezug auf Arbeitskampfmaßnahmen,
- die Abhaltung einer Urabstimmung,
- Erörterung möglicher Arbeitskampfmaßnahmen,
- Streikaufrufe.
Möglich und zulässig ist aber die sachliche Information über bevorstehende und eingetretene Auswirkungen eines Arbeitskampfs, da es insoweit lediglich um Reflexe von Arbeitskämpfen und nicht um Arbeitskampfmaßnahmen selbst geht (LAG Baden-Württemberg, Urteil v. 17.2.1987, 8 (14) Sa 106/86).
3.2 Verbot der Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs oder des Betriebsfriedens
Rz. 20
Ferner haben die Teilnehmer einer Betriebsversammlung alle Betätigungen zu unterlassen, durch die der Arbeitsablauf oder der Frieden im Betrieb beeinträchtigt wird. Die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung genügt nicht; vielmehr muss es zu einer konkreten Störung kommen. Unter Arbeitsablauf wird dabei die organisatorische, räumliche und zeitliche Gestaltung des Arbeitsprozesses verstanden. Der Betriebsfrieden äußert sich in einer spannungsfreien, vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat einerseits und Arbeitgeber und Arbeitnehmer andererseits.
Rz. 21
Eine Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs im Sinne der Norm ist nur anzunehmen, wenn diese über die mit jeder Betriebsversammlung einhergehende Störung hinausgehen. Der Betriebsfrieden kann etwa durch ehrverletzende und sonstige provokante Äußerungen gestört werden. Durch die bestehende Friedenspflicht wird auch das Grundrecht der Meinungsfreiheit wirksam beschränkt. Bei der Frage, ob eine Äußerung gegen das Verbot der Beeinträchtigung des Arbeitsablaufs oder des Betriebsfriedens verstößt, ist jedoch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu berücksichtigen (sog. Wechselwirkungslehre).
3.3 Verbot parteipolitischer Betätigung
Rz. 22
Parteipolitische Betätigung liegt nicht nur in dem Eintreten für eine Partei, sondern auch für jede sonstige politische Gruppierung oder für eine bestimmte politische Richtung (BAG, Beschluss v. 12.6.1986, 6 ABR 67/84). Die strengen Grundsätze, die § 75 Abs. 2 Satz 2, 1. HS BetrVG den Amtsträgern in der Betriebsverfassung auferlegt, indem er jede parteipolitische Betätigung verbietet, sind nur eingeschränkt anzuwenden. Sie gelten lediglich dann, wenn und soweit es um die in § 45 BetrVG geregelte Behandlung von Angelegenheiten durch Diskussionsbeiträge, Referate u. Ä. geht. Unzulässig sind insofern etwa Werbung und Propaganda für politische Parteien.
Rz. 23
Handelt es sich um sonstige, insbesondere nonverbale parteipolitische Betätigungen, wie z. B. das Tragen einer Plakette oder Halten eines Transparents, gelten lediglich die sich aus der arbeitsvertraglichen Treuepflicht ergebenden Schranken. Danach sind lediglich provozierende Betätigungen unzulässig, die den Betriebsfrieden oder den Betriebsablauf konkret stören können (s. dazu etwa BAG, Urteil v. 9.12.1982, 2 AZR 620/80).
Das Gebot der parteipolitischen Neutralität schließt nicht die Behandlung politischer Themen aus, sofern diese den Betrieb oder seine Arbeitnehmer unmittelbar berühren. Das Verbot der "Parteipolitik" bedeutet nicht, dass die Erörterung politischer Themen verboten ist. Daher wird die Erörterung und die Stellungnahme zu einem Thema, das sich mit den Vorstellungen einer Partei deckt, keineswegs ausgeschlossen.
Auch ein Politiker darf einen sachlichen Vortrag über ein den Betrieb unmittel...