3.5.3.4.1 Allgemeines
Rz. 50
Nicht jede unterschiedliche Behandlung wegen eines der Diskriminierungsmerkmale des § 1 AGG stellt eine verbotene Benachteiligung dar. Das Gesetz sieht vielmehr eine Reihe besonderer Tatbestände vor, bei denen eine unterschiedliche Behandlung zulässig ist und keine Benachteiligung im Sinne des § 7 AGG darstellt. Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen der allgemeinen Rechtfertigung wegen beruflicher Anforderungen (s. § 8 AGG) und der besonderen Rechtfertigung wegen der Religion oder Weltanschauung (s. § 9 AGG) und des Alters (s. § 10 AGG).
3.5.3.4.2 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen
Rz. 51
Gemäß § 8 AGG ist die unterschiedliche Behandlung wegen eines Grunds i. S. d. § 1 AGG zulässig, wenn dieser Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
Eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung stellt ein Grund nach § 1 AGG immer dann dar, wenn die vertraglich geschuldete Tätigkeit bei Nichtvorliegen eines der genannten Gründe nicht oder nur völlig unzureichend erfüllt werden könnte. Ob dies der Fall ist, richtet sich nicht nach den subjektiven Vorstellungen des Arbeitgebers, sondern muss anhand objektiver Merkmale der geschuldeten Leistung festgestellt werden. Eine Orientierung bietet die ältere Rechtsprechung zu § 611a Abs. 1 Satz 2 BGB, der durch das AGG zwar aufgehoben, dessen Wertungen aber Eingang in das AGG gefunden haben.
Die Modelagentur M sucht für die Präsentation der neuesten Abendkleider ein Mannequin.
Der Frauenverband F sucht eine Geschäftsführerin.
In beiden Fällen ist die Bevorzugung von Frauen als Bewerber gerechtfertigt.
Die Gemeinde G sucht eine Gleichstellungsbeauftragte. Hier ist die Bevorzugung von Frauen nach der Rechtsprechung des BAG nicht gerechtfertigt.
Arbeitgeber G fordert Arbeitnehmer A auf, an einem Deutschkurs teilzunehmen, um arbeitsnotwendige Sprachkenntnisse zu erwerben. Es liegt keine Diskriminierung der Rasse oder ethnischen Herkunft vor. Das gilt auch dann, wenn der Deutschkurs vertrags- oder tarifvertragswidrig außerhalb der Arbeitszeit und auf eigene Kosten des Arbeitnehmers besucht werden soll. Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung des BAG allerdings, dass die Forderung nach ausreichenden Deutschkenntnissen aufgrund der zu verrichtenden Tätigkeit sachlich gerechtfertigt ist.
3.5.3.4.3 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung
Rz. 52
Grundsätzlich verbietet § 7 AGG eine unterschiedliche Behandlung der Beschäftigten wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder Weltanschauungsgemeinschaft. Die Vorschrift des § 9 AGG macht aber von der in der Richtlinie 2000/78/EG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, bereits geltende Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten beizubehalten, die bisher schon eine Ungleichbehandlung zugelassen haben. Im Ergebnis erlaubt es damit die Regelung des § 9 AGG, den Status quo der Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften aufrechtzuerhalten, die sich in weiten Teilen außerhalb des Diskriminierungsschutzes bewegen.
Die Leiterin eines katholischen Kindergartens oder die Angestellte einer Caritasgeschäftsstelle darf bei Heirat mit einem geschiedenen Mann entlassen werden.
Allerdings hat das BAG zwischenzeitlich diese Rechtsprechung etwas gelockert. Bei einer Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen (wie z. B. die Wiederheirat eines Geschiedenen) muss abgewogen werden zwischen dem Recht der Religionsgemeinschaft und dem Recht des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens. Dieses Abwägungsgebot folgt auch aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Zwar liegt in einer Kündigung durch einen katholischen Arbeitgeber wegen Wiederverheiratung grundsätzlich nach Ansicht des BAG auch weiterhin keine unzulässige Diskriminierung, allerdings ist im Einzelfall abzuwägen, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht doch zumutbar ist, z. B. weil der Arbeitgeber in vergleichbaren Fällen keine Kündigung ausgesprochen hat. Zwischenzeitlich hat der EuGH diese Rechtsprechung weiter präzisiert. Nach der jüngsten Rechtsprechung. Nach Ansicht des EuGH kann in Tendenzbetrieben mit bestimmter konfessioneller Zielsetzung nur unter engen Voraussetzungen verlangt werden, dass die Arbeitnehmer der entsprechenden Konfession angehören. Dem hat sich das BAG in seiner Rechtsprechung angeschlossen.
Die Frage, ob ein Unternehmen der Privatwirtschaft das Tragen auffälliger Zeichen religiöser, politischer und sonstiger weltanschaulicher Überzeugungen am Arbeitsplatz verbieten kann, oder ob er damit gegen das Diskriminierungsverbot verstößt, ...