Rz. 2
§ 86 Satz 1 BetrVG lässt die Regelung der Einzelheiten des in den §§ 84, 85 BetrVG geregelten Beschwerdeverfahrens durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung zu. Dies kann sich insbesondere auf Zuständigkeits-, Verfahrens-, Form- und Fristenfragen beziehen. So können etwa Regelungen über die für die Beschwerdeeinreichung zuständige Stelle (z. B. Einsetzung eines Beschwerdebeauftragten), Verfahrensschritte, die Errichtung eines betrieblichen Instanzenzugs, die Besetzung und Geschäftsordnung der Einigungsstelle nach § 85 Abs. 2 BetrVG, die Einschaltung externer Dienstleister/Vermittler (z. B. Mediator), Formen und Fristen für die Erhebung, Behandlung und Bescheidung der Beschwerden und Anhörung der Beteiligten erfolgen.
Rz. 3
Es kann auch ein betrieblicher Instanzenzug für die Behandlung von Beschwerden geschaffen werden, dabei kann eine Reihenfolge, in der individuelles (§ 84 BetrVG) und kollektives (§ 85 BetrVG) Beschwerdeverfahren stehen, bestimmt werden. Allerdings darf es nicht zu einer Einschränkung des Beschwerderechts des einzelnen Arbeitnehmers sowie der Kompetenz der Einigungsstelle kommen. Dem Arbeitnehmer muss die Möglichkeit erhalten bleiben, das individuelle oder kollektive Beschwerdeverfahren zu wählen, wobei er auch beide Beschwerdeverfahren gleichzeitig einleiten kann. Entgegenstehende Regelungen sind unzulässig. Auch kann durch kollektive Vereinbarungen das Recht des Arbeitnehmers, sich mit dem Inhalt seiner Beschwerde an außergerichtliche Stellen zu wenden, nicht beschränkt werden.
Rz. 4
Da sich die durch § 86 BetrVG eingeräumte Regelungsmacht nur auf die "Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens" erstreckt, dürfen nur ausgestaltende Regelungen getroffen werden, so dass die Zuständigkeitsordnung des § 85 Abs. 2 BetrVG nicht geändert werden darf. Dem Betriebsrat ist es ferner verwehrt, sich der ihm gesetzlich durch die §§ 84, 85 BetrVG zugedachten Aufgaben zu entledigen, indem er diese auf eine andere Institution, etwa einen Konfliktbeauftragten oder eine Konfliktkommission, überträgt (LAG Hamburg, Beschluss v. 15.7.1998, 5 TaBV 4/98). Nicht zulässig ist es, die Durchführung des betrieblichen Beschwerdeweges zur Wirksamkeitsvoraussetzung für eine gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen durch den Arbeitnehmer zu machen.
2.1 Tarifvertragliche Regelungen
Rz. 5
Voraussetzung ist, dass der Betrieb in den fachlichen und örtlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages fällt, der Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens regelt. Da es sich bei den tarifvertraglichen Regelungen über das Beschwerdeverfahren um Tarifnormen über betriebsverfassungsrechtliche Fragen handelt, die gemäß § 3 Abs. 2 TVG für alle Betriebe gelten, genügt für die Anwendbarkeit des Tarifvertrages die Tarifbindung des Arbeitgebers. Die tariflichen Regelungen gelten dann für alle Arbeitnehmer im persönlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags, ohne dass es auf deren Tarifbindung ankäme.
2.2 Betriebsvereinbarung
Rz. 6
Es ist es zunächst der Vorrang des Tarifvertrages zu beachten, so dass eine Betriebsvereinbarung ausgeschlossen ist, soweit ein Tarifvertrag das Beschwerdeverfahren abschließend regelt. Aufgrund des Rangprinzips schließt der Tarifvertrag als die höherrangige Regelung eine Betriebsvereinbarung als rangniedrigere aus. Dagegen findet der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG keine Anwendung, da die Regelungen über das Beschwerdeverfahren keine Arbeitsbedingungen im Sinne dieser Vorschrift sind. Die bloße Tarifüblichkeit von Beschwerderegelungen schließt daher den Abschluss von Betriebsvereinbarungen nicht aus.
Eine Betriebsvereinbarung kommt auch als andere Vereinbarung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG im Nachwirkungszeitraum des Tarifvertrags in Betracht.
Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung über die Einzelheiten des Beschwerdeverfahrens kann nicht über die Einigungsstelle erzwungen werden, da es sich um eine freiwillige Betriebsvereinbarung im Sinne des § 76 Abs. 6 BetrVG handelt.