Leitsatz
Gibt ein Wohnungseigentümer in einer Anfechtungsklage zu erkennen, dass er die Klage auf einen (noch unbestimmten) Teil der in einer Versammlung gefassten Beschlüsse beschränken will, versteht es sich nicht von selbst, dass nur eine Auslegung der Klage als Vorratsanfechtung in Betracht kommt.
Normenkette
WEG § 46 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1
Das Problem
- Wohnungseigentümer K erhebt beim Amtsgericht eine Klage, die sich "gegen Beschlüsse der Eigentümerversammlung" der Wohnungseigentümergemeinschaft richtet. Zugleich kündigt K an, er werde mit der Klagebegründung mitteilen, "auf welche Beschlüsse sich die Klage beschränkt". In der nach Ablauf der Anfechtungsfrist eingereichten Klagebegründung erklärt K, dass die Beschlüsse zu TOP 1 bis 4 Gegenstand der Anfechtungsklage sein sollen.
- Das Amtsgericht weist die Klage ab, das Landgericht die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Nach seiner Ansicht hat K die Anfechtungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 Hs. 1 WEG wegen fehlender Bestimmtheit des Klageantrags versäumt. Die Formulierung in der Klageschrift sei dahin gehend zu verstehen, dass er den Anfechtungsgegenstand in der Klage noch nicht konkret festgelegt habe, sondern sein Begehren erst später habe konkretisieren wollen. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde will er die Zulassung der Revision erreichen. Ohne Erfolg!
Die Entscheidung
Die Auslegung des Klageantrags durch die Vorinstanzen verletze nicht das Gebot effektiven Rechtsschutzes.
Auslegungsgrundsätze
Allerdings dürfe auch bei einer Anfechtungsklage die Auslegung nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern habe den wirklichen Willen der Partei zu erforschen; dabei sei der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig sei und der wohlverstandenen Interessenlage entspreche (Hinweis auf BGH v. 12.12.2014, V ZR 53/14, NJW-RR 2015 S. 583 Rn. 9). Dies stehe in aller Regel einer Auslegung des Klageantrags entgegen, die zu einer Unwirksamkeit der Prozesshandlung (hier: wegen Unbestimmtheit des Klageantrags) und in der Folge zu der Versäumung einer Ausschlussfrist führe (Hinweis auf BGH v. 10.10.2013, V ZB 132/13, Rn. 3).
Konkreter Fall
- Bei einer Klage nach § 46 WEG, die – wie im Fall – nur als sogenannte Vorratsanfechtung zulässig wäre, könne jedoch ausnahmsweise auch eine solche Auslegung der wohlverstandenen Interessenlage der Partei entsprechen. Zu berücksichtigen sei nämlich, dass eine Vorratsanfechtung, also eine Anfechtung aller in der Versammlung gefassten Beschlüsse, deutlich mehr Kosten verursache als die Anfechtung nur einzelner Beschlüsse. Diese zusätzlichen Kosten könnten, auch wenn die Klage später auf einzelne Beschlüsse beschränkt und im Übrigen zurückgenommen werde, erheblich sein. Gebe ein Wohnungseigentümer in einer Anfechtungsklage zu erkennen, dass er die Klage auf einen (noch unbestimmten) Teil der in der Versammlung gefassten Beschlüsse beschränken wolle, verstehe es sich daher nicht von selbst, dass nur eine Auslegung der Klage als Vorratsanfechtung in Betracht komme. Denkbar sei auch, dass dies wegen der damit verbundenen Kosten nicht dem Willen des Klägers entspreche, er vielmehr vor die Wahl gestellt – die Versäumung der Ausschlussfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG (als Folge der unklaren Fassung seiner Klage) als das geringere Übel ansehen würde – zumal es ihm dann immer noch möglich sei, die Nichtigkeit der ihm missfallenden Beschlüsse geltend zu machen.
- Im konkreten Fall sei nicht deshalb eine andere Beurteilung geboten, weil K die Anfechtung später auf die Beschlüsse beschränkt habe, die zu einem hohen Streitwert (über 175.000 EUR) der Anfechtungsklage führen, während die Teilrücknahme kostenmäßig kaum ins Gewicht gefallen sei. Auf das spätere Verhalten eines Klägers könne es nicht ankommen; welche Beschlüsse angefochten werden, müsse vielmehr bei Ablauf der Anfechtungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG erkennbar sein. Zu diesem Zeitpunkt sei aber nicht zweifelsfrei gewesen, ob eine Auslegung der Klageschrift, die zu einer hohen Kostenschuld geführt hätte, dem Willen des Klägers entsprochen habe.
Kommentar
Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss der Kläger einen "bestimmten" Antrag stellen. Ist der Antrag nicht deutlich genug gefasst, so ist er – wie alle Prozesshandlungen und -erklärungen – durch Ausübung der materiellen Prozessleitung aufzuklären oder vom Gericht entsprechend §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung seines Inhalts und der vom Kläger gegebenen Begründung auszulegen. § 308 Abs. 1 ZPO steht einer Auslegung nicht entgegen. Denn die Auslegung dient gerade der Feststellung des Beantragten. Dieser allgemeine Grundsatz gilt auch für wohnungseigentumsrechtliche Anfechtungsklagen. Auch dort darf die Auslegung nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen.
Was ist für den Verwalter wichtig?
Der Verwalter sollte – auch aus eigenem Interesse – den Wohnungseigentümern...