Leitsatz

Erneut: "Humane Entscheidung" des BayObLG auf Verneinung der Durchsetzung eines Hundehaltungsverbots im Einzelfall unter Hinweis auf § 242 BGB und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG zu Gunsten einer physisch und psychisch kranken Miteigentümerin

 

Normenkette

( §§ 10 Abs. 1 Satz 2, 15 Abs. 1 WEG; § 242 BGB; Art 3 Abs. 3 Satz 2 GG)

 

Kommentar

1. Andeutungsweise hat der Senat bereits in seiner zurückweisenden Entscheidung dieser Streitsache an das LG (vgl. BayObLG, Zurückweisungsbeschluss vom 24.8.2000, 2Z BR 58/00, NZM 2001, 105 = ETW, Gruppe 2, S. 4408 ff. mit diesseitiger kritischer Anmerkung) zum Zwecke dort vorzunehmender neuerlicher Amtsermittlungen wie jetzt auch im Ergebnis mit weiterer rechtlicher Begründung unter Hinweis auf einen verfassungsrechtlichen Grundsatz einen Ausnahmefall human entschieden. Das LG hat im Ergebnis nach weiterer Beweiserhebung (schriftliches Gutachten des LG-Arztes) die sofortige Beschwerde der betroffenen Miteigentümerin (Antragsgegnerin) gegen die amtsgerichtliche Entscheidung auf Unterlassung und Entfernung ihres Hundes erneut zurückgewiesen. Die neuerliche Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin unter Bewilligung von Prozesskostenhilfe hatte nunmehr endgültig Erfolg.

2. Zum Sachverhalt sei nochmals in Erinnerung gebracht, dass die Gemeinschaft bereits 1983 ein weitgehendes Tierhalteverbot bestandskräftig beschlossen hatte, sich ungeachtet dessen die Antragsgegnerin allerdings auch ohne vereinbarte Genehmigung des Verwalters einen Hund (Dackelmischling) angeschafft hatte. Durch diesen Hund habe es in der Folgezeit insbesondere wegen Bellens (bis in die Nachtzeit hinein) und durch Verunreinigungen dieses Hundes vor dem Hauseingangsbereich diverse Beschwerden anderer Bewohner gegeben. Der physisch und psychisch kranken, arbeitslosen Antragsgegnerin wurde allerdings ärztlicherseits erneut bestätigt, dass sie aufgrund ihrer körperlichen Behinderung und zur Stabilisierung ihrer seelischen Situation auf die Hundehaltung angewiesen sei.

3. Der Senat hat nunmehr die Antragsteller nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) als verpflichtet angesehen, gegenüber der Antragsgegnerin das beschlossene Hundehaltungsverbot nicht weiter durchzusetzen.

Dessen ungeachtet wird zunächst die bisherige BGH-Rechtsprechung (BGHZ 129, 329) und auch die des Senats (BayObLGZ 1995, 42) grundsätzlich bestätigt, dass aufgrund eines unangefochtenen Mehrheitsbeschlusses auch eine Hundehaltung in der Wohnanlage generell verboten werden kann (vgl. auch Müller, 3. Auflage, Rn. 218). Auch bei solchermaßen beschlossenen Gebrauchsregelungen gestattet § 15 Abs. 1 und Abs. 2 WEG Vereinbarungs-, aber auch Mehrheitsbeschlussform, sodass nicht gegen Grundsätze der neuen BGH-Entscheidung vom 20.9.2000 (BGHZ 145, 158 = NJW 2000, 3500) verstoßen wird; das Merkmal der "Ordnungsmäßigkeit" wird insoweit nicht als kompetenzbegründend angesehen (ebenso Wenzel ZWE 2001, 226/230; Becker, Kümmel ZWE 2001, 128/135; a.A. Häublein, ZWE 2001, 2/6; kritisch auch Müller, Praktische Fragen des Wohnungseigentums, Nachtrag November 2000, S. 4). Vorliegend war den Eigentümern auch ausdrücklich in der Teilungserklärung die Befugnis eingeräumt, die Hausordnung mit einfacher Stimmenmehrheit zu ändern. Auch von einem Kernbereichseingriff in das Wohnungseigentum konnte hier bei diesem Tierhaltsverbotsbeschluss nicht gesprochen werden. Beeinträchtigungen von Mitbewohnern bei einer Hundehaltung in einer Eigentumswohnung (etwa durch Gebell oder Verschmutzung von Gemeinschaftseigentum) ließen sich im Übrigen niemals völlig ausschließen; aus diesem Grund ist es weder willkürlich noch sachfremd, einen generellen Maßstab anzulegen und nicht auf eine konkrete Belästigung im Einzelfall abzustellen.

4. Im vorliegenden Fall war die Durchsetzung des Hundehaltungsverbots im Einzelfall allerdings unzulässig, weil ihr zunächst der Grundsatz von Treu und Glauben entgegensteht. Der Sachverständige hat hier bestätigt, dass der Hund der Antragsgegnerin, die an einer depressiven Grundstimmung leidet, ihren Zustand emotional festigt und ihr Sicherheit gibt. Auf das Tier angewiesen sei sie wie ein Blinder etwa auf einen Blindenhund allerdings nicht.

5. Das LG hat bei diesen im Ansatz zutreffenden Abwägungen allerdings Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht hinreichend berücksichtigt; angesichts dieses Rechtsfehlers kommt der Senat zu einem anderen Abwägungsergebnis. Nach der Verfassung darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden; die Bestimmung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (eingefügt durch das Gesetz vom 27.10.1994, BGBl. I S.3146) entfaltet zwar keine unmittelbare Drittwirkung, strahlt aber auf die Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Normen aus (h.M. nach verfassungsrechtlicher Kommentarliteratur; grundsätzlich ebenso OLG Köln, NJW 1998, 763/764); diese Regelung erfordert es, das Maß zivilrechtlich gebotener gegenseitiger Rücksichtnahme und Toleranz grundsätzlich neu und anders zu bestimmen. Vorliegend kommt dem Tier die Rolle zu, das allgemeine seelische Gleichgewicht der An...

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