Rz. 40
Die Typenstrenge und der "rigorose Formalismus" werden im türkischen Recht durch den Grundsatz favor testamenti abgemildert. Eine letztwillige Verfügung kann mit öffentlicher Beurkundung, eigenhändig oder durch mündliche Erklärung errichtet werden (Art. 531 ZGB). Ist das Testament unter Verstoß gegen die gesetzlichen Formerfordernisse errichtet worden, so ist es nicht ipso iure unwirksam. Vielmehr ist es vom Gericht als wirksam zu behandeln, sollte es nicht von einem der Nachlassbeteiligten innerhalb eines Jahres nach Eintritt des Erbfalls durch Klage vor Gericht angefochten worden sein. Das Recht auf Erhebung dieser Klage ist nach Ablauf eines Jahres verwirkt. Die Frist beginnt mit Kenntnis von der Verfügung, vom Grund der Annullierung oder mit der Kenntnisnahme über die Erbberechtigung (Art. 559 Abs. 1 ZGB). Die Verwirkung tritt aber spätestens zehn Jahre (nach altem Recht fünf und gegenüber dem böswilligen Begünstigten nach 20 Jahren) nach Eröffnung der letztwilligen Verfügung bzw. bei lebzeitigen Verfügungen nach Eintritt des Erbfalls ein, Art. 571 ZGB (zuvor Art. 513 ZGB). Nach Verwirkung kann das Herabsetzungsrecht nur noch einredeweise geltend gemacht werden (Art. 559 Abs. 2 ZGB; Art. 571 Abs. 3 ZGB).
Das türkische Recht kennt das sog. Berliner Testament (ein gemeinschaftliches Testament von Ehepartnern) nicht. Solche Testamente sind nichtig. Folge ist, dass das Testament angefochten werden kann. Wird es nicht fristgemäß angefochten, so ist es dennoch wirksam. Da es sich um eine Formfrage handelt. kann zudem das Verbot gemeinschaftlicher Testamentserrichtung durch Ehegatten umgangen werden, in dem sie das Testament in Deutschland nach der Ortsform errichten.
a) Das öffentliche Testament
Rz. 41
Unter Mitwirkung von zwei Zeugen erfolgt die öffentliche letztwillige Verfügung vor dem "offiziellen Beamten", Friedensgericht, Notar oder einem anderen Beauftragten, der nach dem Gesetz mit diesen Geschäften betraut ist (Art. 532 ZGB). Was mit dem "offiziellen Beamten" gemeint ist, wird in der Literatur möglicherweise zu einem lebendigen Streit führen. Dabei gibt es eine einfache Erklärung: Der Gesetzgeber wollte bei der Reform keine inhaltlichen Änderungen zu diesem Artikel vornehmen. Bei der Angleichung des Wortlauts an das schweizerische ZGB (Art. 499 schwZGB) hat sich der türkische Gesetzgeber in einen unsinnigen Wortsalat begeben. Der Konsul gehört zu den "Beauftragten", die nach dem Gesetz mit diesen Geschäften betraut sind (siehe auch Art. 16 Deutsch-Türkischer Konsularvertrag).
Rz. 42
Der "Beamte" sorgt dafür, dass das Testament nach dem Willen des Testierenden verfasst, von dem Testierenden gelesen und unterschrieben wird (Art. 533 ZGB). Kann der Testierende das Testament nicht lesen und unterschreiben, ist das Testament durch den Beamten in Gegenwart der beiden Zeugen zu verlesen (Art. 535 ZGB). Die Zeugen haben nicht nur die Erklärung des Testierenden zu bezeugen, sondern auch, dass der Testierende nach ihrer Wahrnehmung verfügungsfähig ist und ihm das Testament ggf. vorgelesen worden ist (Art. 534, 535 ZGB). Fehlt die Bemerkung im Testament, dass die Zeugen es bezeugen, dass das Testament bei deren Gegenwart vorgelesen worden ist, ist das Testament ungültig.
Rz. 43
Handlungsunfähige Personen oder Personen, die durch Strafurteil für öffentliche Ämter als untauglich erklärt worden sind, Analphabeten, der Ehegatte des Erblassers, Verwandte in gerader Linie, die Geschwister des Erblassers sowie deren Ehegatten können bei der Errichtung eines öffentlichen Testaments weder als Beamte noch als Zeugen mitwirken (Mitwirkungsverbot, Art. 536 Abs. 1 ZGB). Folgende Personen, die bei der Beurkundung der öffentlichen Verfügung mitgewirkt haben, dürfen mit dieser Verfügung nicht bedacht werden: der beurkundende Beamte, Zeugen, Blutsverwandte in gerader Linie und Geschwister oder Ehegatten dieser Personen (Art. 536 Abs. 2 ZGB). Die Missachtung des Mitwirkungsverbots begründet eine Anfechtungsklage (Art. 557 Abs. 1 Nr. 4 bzw. Art. 558 Abs. 3 ZGB).
Rz. 44
Ein öffentliches Testament v...