Rz. 70
Ein Erbverzicht erfolgt durch notariell beurkundeten Erbverzichtsvertrag, Art. 528 ZGB (zuvor Art. 475 ZGB). Der Erblasser muss den Erbverzichtsvertrag persönlich abschließen. Kommt der Erbverzichtsvertrag durch eine Vertretung zustande, ist dieser unwirksam.
Rz. 71
Der Ausschluss von der Erbfolge ist zum Schutz der Nachkommen eines zahlungsunfähigen Erben gegen dessen Gläubiger möglich. Der Erblasser kann die Hälfte des Pflichtteils eines seiner Erben entziehen, wenn dieser Erbe zahlungsunfähig ist und gegen ihn ein Vollstreckungstitel mit Zahlungsunfähigkeitsbescheinigung besteht. Dieser Teil muss jedoch den vorhandenen und später geborenen Kindern des zahlungsunfähigen Erben zugewendet werden (Art. 513 Abs. 1 ZGB). Die Enterbung wird auf Begehren des Enterbten aufgehoben, wenn bei der Eröffnung des Erbgangs Zahlungsunfähigkeit nicht mehr besteht oder wenn der Gesamtbetrag des Vollstreckungstitels die Hälfte des Erbteils nicht übersteigt (Art. 513 Abs. 2 ZGB).
Rz. 72
Der Erblasser kann einen Abkömmling von der Erbfolge ausschließen (Enterbung), wenn der Erbe gegen den Erblasser oder gegen eine diesem nahe verbundene Person eine schwere Straftat begangen hat oder gegenüber dem Erblasser oder einem von dessen Angehörigen die ihm obliegenden familienrechtlichen Pflichten schuldhaft schwer verletzt hat (Art. 510 ZGB). Der im deutschen Recht bekannte Enterbungsgrund "ehrlose oder unsittliche Lebenswandel" (§ 2333 BGB) kommt im türkischen Recht mittelbar zum Ausdruck. Nach Art. 322 ZGB sind Eltern und Kinder "Achtung und Rücksicht auf die Familienwürde schuldig". Zu den Familienpflichten, deren Verletzung die Enterbung begründet, gehören Beistands- und Unterstützungsverpflichtungen der Familienmitglieder (Art. 322, 339, 340 ZGB), die Unterhaltspflicht (Art. 364 ZGB) und die Treuepflicht in der Ehe (Art. 161 ZGB). Das Testament ist die richtige Form dafür. Ist der Enterbungsgrund nicht genannt, ist die Enterbung ungültig. Ist die Enterbung in den Erbvertrag aufgenommen, macht dies das Rechtsgeschäft nicht ungültig, jedoch bleibt es weiterhin ein einseitiges Rechtsgeschäft, welches von dem Erblasser jederzeit aufgehoben werden kann.
Rz. 73
Die Erbunwürdigkeitsgründe in Art. 578 ZGB sind ähnlich denen in § 2339 BGB und ebenso wie in Art. 540 schwZGB festgelegt. Der erbunwürdige Erbe verliert seine Erbeneigenschaft, wenn einer der Erbunwürdigkeitsgründe eingetreten ist, ohne dass hierfür eine Willenserklärung seitens des Erblassers erforderlich wäre. Sie wirkt ex tunc. Sie wird wie in § 2343 BGB durch Verzeihung des Erblassers aufgehoben (Art. 578 Abs. 2 ZGB). Die Verzeihung bedarf keiner besonderen Form.
Rz. 74
Sowohl bei der Enterbung (Art. 510 Abs. 2–3 ZGB) als auch bei der Erbunwürdigkeit (Art. 578 Abs. 2 ZGB) beerben die Nachkommen der Enterbten bzw. Unwürdigen den Erblasser, wie wenn er vor dem Erblasser gestorben wäre.