a) Erbrechtliche Position des Ehegatten
Rz. 21
Der Ehegatte hat ein konkurrierendes Erbrecht gegenüber anderen gesetzlichen Erben. Er erbt neben Abkömmlingen (Erben erster Ordnung) ein Viertel, neben Erben der zweiten Ordnung (Eltern bzw. deren Abkömmlingen) die Hälfte und neben Großeltern und deren Abkömmlingen drei Viertel; sind auch keine Großelternteile vorhanden, wird der Ehegatte Alleinerbe, Art. 499 ZGB (zuvor Art. 444 Abs. 1 ZGB).
Rz. 22
Die sog. variable Erbquote des Ehegatten existiert seit dem Jahre 1990 nicht mehr. Zuvor konnte der Ehegatte sich statt einem Viertel des Nachlasses als Eigentum für die Nutznießung an der Hälfte der Erbschaft entscheiden. Ein Nießbrauchs- bzw. Wohnrecht oder Eigentumsrecht am Familienhaus bzw. an der Familienwohnung und das Eigentumsrecht am Hausrat kann dem überlebenden Ehegatten auf sein eigenes Verlangen hin und auf Anrechnung auf seinen Errungenschaftsanteil zugeteilt werden, damit dieser seine bisherige Lebensweise beibehalten kann. Eine andere Regelung durch Güterrechtsvertrag bleibt vorbehalten (Art. 240 ZGB). Diese Regelung ist dann anzuwenden, wenn die Ehegatten in dem gesetzlichen Güterstand "Errungenschaftsbeteiligung" lebten. Die gleiche und von der Art des Güterstandes unabhängige Möglichkeit bietet Art. 652 ZGB.
Rz. 23
Ob die letztere Möglichkeit durch Verfügung von Todes wegen beschränkt oder ganz ausgeschlossen werden kann, wird bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung in der Türkei umstritten bleiben. In der amtlichen Begründung des Art. 652 ZGB bringt der türkische Gesetzgeber die Schutzfunktion des Artikels für den überlebenden Ehegatten zum Ausdruck. In Konsequenz dieses gesetzgeberischen Willens kann die Möglichkeit einer Außerkraftsetzung des Art. 652 durch Verfügung von Todes wegen nicht vertreten werden. Im gleichen Atemzug legt der Gesetzgeber in der gleichen Begründung dar, dass er diesen Artikel in Anlehnung an den im Jahre 1984 im schweizerischen ZGB verankerten Art. 612a schwZGB formuliert hat. Diese widersprüchliche Begründung des Gesetzgebers vermag Klarheit nicht zu schaffen; sie könnte vielmehr zur Folge haben, dass die türkische Praxis dem rezipierten Gesetz (schwZGB) folgt und die Beschränkung oder den Ausschluss des Art. 652 ZGB bejaht.
b) Güterrechtliche Position des überlebenden Ehegatten
Rz. 24
Nachdem der überlebende Ehegatte seinen Anteil an dem Gesamtvermögen der Ehegatten bekommen hat, der ihm güterrechtlich zusteht, bleibt der Rest als Nachlass. Die güterrechtlichen Positionen waren nach dem alten gesetzlichen Güterstand klarer geregelt, da die Gütertrennung gesetzlicher Güterstand war. Mit dem Inkrafttreten des neuen ZGB am 1.1.2002 hat der türkische Gesetzgeber die damalige Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand aufgegeben und die "Errungenschaftsbeteiligung" als gesetzlichen Güterstand übernommen, der in der Schweiz durch das Gesetz vom 5.1.1984 am 1.1.1988 in Kraft getreten ist. Neben diesem Güterstand kennt das ZGB weiterhin die gesetzlichen alternativen Güterstandsregelungen der "Gütertrennung", "Gütergemeinschaft" und den vom türkischen Gesetzgeber geschaffenen Güterstand der "Gütertrennung mit Beteiligung". Ein Güterstandsvertrag ist vor oder während der Ehe möglich (Art. 203 ZGB) und entweder beim Standesamt bei der Eheschließung schriftlich zu schließen oder notariell zu beurkunden (Art. 205 ZGB).
Rz. 25
Mit einer Übergangsregelung wurden auch die Güterstände geregelt: Der bisherige Güterstand zwischen den Eheleuten setzt sich fort. Entscheiden sich die Ehegatten bis zum 1.1.2003 für keinen anderen Güterstand, gilt ab dem 1.1.2002 der neue gesetzliche Güterstand als vereinbart. Der Gesetzgeber gewährt den Eheleuten auch die Möglichkeit, durch einen Güterrechtsvertrag bis zum 1.1.2003 zu vereinbaren, dass der neue gesetzliche Güterstand vom Zeitpunkt der Eheschließung an gelten soll.