Rz. 118
Eine gute Übersetzung der Urkunden und Urteile ist entscheidend. Das Sprachrisiko spielt im Rahmen der Anerkennung und Vollstreckung eine große Rolle, weil sich zwei verschiedene Rechtssysteme und i.d.R. zwei verschiedene Rechtssprachen gegenüberstehen. Bei der Anerkennung und Vollstreckung sind die beglaubigten Übersetzungen des Urteils des ausländischen Gerichts (Art. 37 lit. a türkIPRG) und des Zeugnisses, das die Rechtskraft der Entscheidung bestätigt (Art. 37 lit. b türkIPRG), beizufügen. Bei diesen Übersetzungen und bei der Verwendung fremder Terminologie unterlaufen oft grobe Fehler, die teilweise das Gerechtigkeitsgefühl tief verletzen können. Folgendes Beispiel zeigt in eklatanter Weise, welche Konsequenzen sprachliche Missverständnisse nach sich ziehen können:
Rz. 119
Beispiel: Ein von einem türkischen Vater abstammendes nichteheliches Kind stellte nach dem Tod seines Vaters einen Vaterschaftsfeststellungsantrag beim zuständigen Amtsgericht in Deutschland. Durch das Urteil dieses Gerichts wurde die Vaterschaft festgestellt. Bei der Übersetzung des Urteils wurde das Wort "Amtsgericht" fehlerhaft als "Sulh Hukuk Mahkemesi" (Friedensgericht) übersetzt. Dieses Urteil wurde vom zuständigen türkischen Asliye Hukuk Mahkemesi (Grundgericht) durch eine Vollstreckungsentscheidung bestätigt. Jedoch wurde diese Entscheidung vom türkischen Kassationshof (Yargitay) mit der Begründung aufgehoben, dass für dieses Verfahren in der Türkei nicht das Sulh Hukuk Mahkemesi (Friedensgericht) zuständig sei, sondern das Asliye Hukuk Mahkemesi (Grundgericht). Deswegen verstoße das Urteil gegen den türkischen ordre public (Art. 5 türkIPRG). Weil der türkische Rechtsanwalt den Unterschied zwischen Amtsgericht und Sulh Hukuk Mahkemesi nicht kannte, hat er keine Berichtigungsklage gegen das Urteil des türkischen Revisionsgerichts erhoben und so wurde dieses Urteil rechtskräftig und das Kind zu "lebenslanger Vaterlosigkeit" verurteilt!
Rz. 120
Praxishinweis: Daher muss bei den Anerkennungs- oder Vollstreckungsanträgen der Scheidungsurteile darauf geachtet werden, dass die Gerichtsnamen unter besonderer Berücksichtigung des türkischen Gerichtssystems von kompetenten Übersetzern sinngemäß übersetzt werden.
Rz. 121
Das Sprachrisiko spielt nicht nur bei Scheidungsurteilen eine wichtige Rolle, sondern auch bei den Scheidungsfolgen (Unterhalts-, Sorgerechts- und Schadensersatzurteile). Bei Unterhaltsentscheidungen ist besonders schwierig festzulegen, welche Kriterien bei der Bemessung des Unterhalts durch deutsche bzw. türkische Gerichte zu berücksichtigen sind, da der "Bedürftigkeitsbegriff" in beiden Rechtsordnungen anders ausgelegt wird. Bei der Scheidung türkischer Staatsangehöriger durch deutsche Gerichte muss die Bedürftigkeit nach türkischem Recht (Art. 175, 182 und 364 türkZGB) festgestellt werden.