I. Gleichberechtigung im türkischen Familienrecht
Rz. 29
Die Gleichberechtigung der Ehegatten hat Verfassungsrang. Der türkische Gesetzgeber hat kurz vor dieser ZGB-Reform auch zahlreiche Änderungen in der türkischen Verfassung durchgeführt. Eine dieser Änderungen betrifft die Gleichberechtigung der Ehegatten in der Familie: "Die Familie bildet das Fundament der türkischen Gesellschaft und basiert auf der Gleichberechtigung der Ehegatten" (Art. 41 Abs. 1 türk. Verfassung). Es ist hier festzustellen, dass der türkische Verfassungsgeber die Gleichheit von Mann und Frau nicht wie der deutsche Verfassungsgeber (Art. 3 GG) unter der allgemeinen Gleichheitsklausel explizit und gesondert geregelt hat, sondern unter dem Titel "Schutz der Familie" als Gleichberechtigung der Ehegatten. Dass die Geschlechter vor dem Gesetz gleich sind, war jedoch bereits in dieser allgemeinen Form im Gleichheitsgrundsatz der türkischen Verfassung verankert.
Rz. 30
Die Reformen in diesem Bereich haben auch das Ziel, die Gleichberechtigung der Ehegatten zu verwirklichen. Es gab im alten Gesetz viele Bestimmungen, die dem Gleichberechtigungsprinzip nicht gerecht wurden. Einige der prägnantesten Beispiele hierfür sind:
▪ |
"Der Ehemann ist Oberhaupt der Familie" (Art. 152 Abs. 1 türkZGB alt). |
▪ |
"Der Ehemann vertritt die Familie" (Art. 154 Abs. 1 S. 1 türkZGB alt). |
▪ |
Die Ehefrau hatte eine begrenzte Geschäftsfähigkeit. Nach Art. 155 Abs. 1 türkZGB alt konnte die Ehefrau die Familie gegenüber dritten Personen vertreten, soweit die geschäftlichen Handlungen nicht die elementaren Bedürfnisse der Familie überschritten. |
Rz. 31
Die Rechtsprechung hat sich bemüht, die ungerechte Machtverteilung in der Familie zu kompensieren und war auch teilweise erfolgreich:
▪ |
"Die Auswahl des Wohnsitzes trifft der Ehemann" (Art. 152 Abs. 2 türkZGB alt); jedoch konnte die Ehefrau die Entscheidung ihres Mannes vor Gericht anfechten, falls ihr Mann dieses Recht zu seinen Gunsten missbrauchte, denn der Missbrauch des Rechts wird nicht vom Gesetz geschützt. |
▪ |
Darüber hinaus war der Ehemann verpflichtet, seiner Frau eine separate Wohnung – außerhalb der Wohnung der Schwiegereltern – zu stellen. |
Rz. 32
Die Reform hat in diesen Bereichen dafür Sorge getragen, dass die Gleichberechtigung der Ehegatten gesetzlich verankert wird:
▪ |
Die Ehegatten bestimmen gemeinsam die eheliche Wohnung (Art. 186 Abs. 1 türkZGB). Allerdings steht demjenigen die Hausgewalt zu, der nach Vorschrift des Gesetzes oder nach Vereinbarung oder Herkommen als Familienoberhaupt gilt (Art. 367 Abs. 1 türkZGB). |
▪ |
Die Verwaltung der Gemeinschaft wird von den Ehegatten gemeinsam geführt (Art. 186 Abs. 2). |
II. Güterstand
1. Allgemeines
Rz. 33
Unter dem Vierten Abschnitt des türkZGB wird das Güterrecht der Ehegatten geregelt. Der türkische Gesetzgeber gibt die frühere Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand auf und führt die auch in der Schweiz geltende "Errungenschaftsbeteiligung" als gesetzlichen Güterstand ein. Neben diesem Güterstand kennt das türkZGB weiterhin die vertraglichen Güterstandsregelungen wie "Gütertrennung", "Gütergemeinschaft" und den vom türkischen Gesetzgeber eigens geschaffenen Güterstand "Gütertrennung mit Beteiligung". In der Praxis ist die Wahl eines vom gesetzlichen Güterstand abweichenden Güterstandes äußerst selten.