I. Vermögensteilung
Rz. 122
Bei der Auflösung des Güterstandes werden die Unterschiede des deutschen und türkischen gesetzlichen Güterstandes deutlich. Das Gericht trifft nach Eröffnung des Scheidungs- oder Trennungsverfahrens von Amts wegen die notwendigen Maßnahmen für die Verwaltung des Vermögens der Ehegatten (Art. 169 türkZGB). Veruntreut einer der Ehegatten das gemeinsame Vermögen, empfiehlt es sich rechtzeitig – also auch während des Scheidungs- oder Trennungsverfahrens – einen Antrag auf Gütertrennung zu stellen (Art. 206 türkZGB).
Rz. 123
Der gesetzliche Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung umfasst die Errungenschaft (siehe Rdn 33) und das Eigengut (siehe Rdn 135) jedes Ehegatten. Das Vermögen der Ehegatten wird also jeweils in Massen aufgeteilt. Hierin liegt der Unterschied zur Zugewinngemeinschaft, die das Anfangs- und Endvermögen gegenüberstellt.
Rz. 124
Im türkischen Recht wird zunächst der sog. Vorschlag ermittelt: Das Eigengut jedes Ehegatten wird vom jeweiligen Ehegatten zurückbehalten und zählt nicht bei der Ermittlung des Vorschlags. Was von der Errungenschaft nach Berücksichtigung der Hinzurechnungen und Ersatzforderungen sowie nach Abzug der Schulden verbleibt, bildet den Vorschlag, der zwischen den Ehegatten geteilt wird.
Rz. 125
Beispiel: Eine türkische Ehefrau wird Alleineigentümerin der ihr anlässlich der Heirat und Verlobung gemachten persönlichen Geschenke (hier: Schmuck). Die Klägerin hat an dem Schmuck auch Alleineigentum erlangt, weil es sich insbesondere im Falle des Schmucks um Sachen handelt, die sowohl nach der türkischen als auch der deutschen Verkehrsauffassung als persönliche Gebrauchsgegenstände der Frau eingeordnet werden.
Behauptet der Ehemann, dass der Heirats-Schmuck ihm von der Ehefrau auf nicht mehr Zurückverlangen freiwillig zur Verwendung überlassen wurde, muss dies beweisen. Kann er dies nicht beweisen, muss er den Wert des Schmuckes zurückerstatten.
Schenkung in der Ehe muss zweifellos und eindeutig sein. Keine Schenkung stellen Zuwendungen dar, die eine moralische und solidarische Grundlage haben. Auch der Höhe nach unübliche Vermögenswerte gelten nicht ohne weiteres als Schenkung.
Rz. 126
Bei der Ermittlung des Vorschlags werden zwei Rechnungsposten der Errungenschaft hinzugerechnet:
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Unentgeltliche Zuwendungen, die ein Ehegatte während des letzten Jahres vor der Auflösung des Güterstandes ohne Zustimmung des anderen Ehegatten gemacht hat; ausgenommen hiervon sind die üblichen Gelegenheitsgeschenke. |
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Vermögensentäußerungen, die ein Ehegatte während der Dauer des Güterstandes vorgenommen hat, um den Beteiligungsanspruch des anderen zu schmälern. |
Rz. 127
Es bestehen zwei wesentliche Unterschiede zur Regelung des § 1375 Abs. 2 und 3 BGB:
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Im türkischen gesetzlichen Güterstand wird das Vermögen der Errungenschaft nicht hinzugerechnet, das durch Verschwendung verloren gegangen ist. |
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Der Betrag der Vermögensminderung wird dem Endvermögen (Vorschlag) nicht hinzugerechnet, wenn sie mindestens fünf Jahre vor Beendigung des Güterstandes eingetreten ist. |
Rz. 128
Spätestens dann, wenn es um Ersatzforderungen gegen das Eigengut geht, wird es kompliziert. Hier geht es nämlich nicht um die Forderungen, die ein Ehegatte gegen den anderen Ehegatten bzw. dessen Vermögen stellt, sondern darum, dass das Verhältnis der Errungenschaft und des Eigengutes des jeweiligen Ehegatten ermittelt wird.
Rz. 129
Beispiel: Beide Ehegatten sind Arbeitnehmer. Die Frau kauft mit ihrem Gehalt (Errungenschaft) für den persönlichen Bedarf ein kleines City-Auto (Eigengut) und der Ehemann mit seinem Gehalt (Errungenschaft) zum persönlichen Gebrauch ein teures Motorrad (Eigengut). In beiden Fällen haben die Ehegatten die Errungenschaft eingesetzt, um Eigengut zu erwerben.
Die Beträge, die beide Ehegatten zum Erwerb des Eigenguts aufgewandt haben, müssen der Errungenschaft zugerechnet werden. Ersatzforderungen sind aber variabel. Was tun, wenn bei der Auflösung des Güterstandes das Motorrad zwei Jahre alt und halb so viel wert ist? Bei der Berechnung der Ersatzforderung wird nicht das eingesetzte Mittel berücksichtigt, sondern der Verkehrswert des Gegenstandes zum Zeitpunkt der Auflösung des Güterstandes. Die Ersatzforderung erlischt durch Untergang oder Verbrauch des erworbenen Gegenstandes (Eigengut). Geht das Motorrad infolge von Naturgewalt unter (wird also der Schadensfall von der Versicherung nicht beglichen), erlischt auch die Ersatzforderung.
Rz. 130
Schulden werden von der Errungenschaft abgezogen. Nur bei Forderungen der Ehegatten gegeneinander spielt der sog. Mehrwertanteil eine besondere Rolle:
"Hat ein Ehegatte zum Erwerb, zur Verbesserung oder zur Erhaltung von Vermögensgegenständen des anderen ohne entsprechende Gegenleistung beigetragen und besteht im Zeitpunkt der Auseinandersetzung ein Mehrwert, so entspricht seine Forderung dem Anteil seines Beitrages und wird nach dem gegenwärtigen Wert der Vermögensgegenstände berechnet; ist dagegen ein Minderwert einge...