Rz. 11
Das erforderliche Mindestalter für die Eheschließung wurde für die Frau und den Mann gleichermaßen vorgeschrieben und auf die Vollendung des 17. Lebensjahres angehoben. Nach altem Recht musste der Mann das 17. und die Frau das 15. Lebensjahr vollendet haben (Art. 88 Abs. 1 türkZGB alt). In außergewöhnlichen Härtefällen kann der Richter der Heirat stattgeben, wenn die Verlobten das 16. Lebensjahr vollendet haben und die Eltern oder der Vormund "nach Möglichkeit" angehört wurden (Art. 124 Abs. 2 türkZGB). Das alte Recht setzte hier voraus, dass der Mann das 15. und die Frau das 14. Lebensjahr vollendet haben und die Eltern oder der Vormund vom Gericht angehört wurden (Art. 88 Abs. 2 türkZGB alt). Der Richter hat heute somit die Möglichkeit, in außergewöhnlichen Härtefällen die Heirat zu genehmigen, selbst wenn die Eltern bzw. der Vormund nicht mitwirken.
Rz. 12
Minderjährige (Art. 126 türkZGB, Art. 90 türkZGB alt) und Entmündigte (Art. 127 türkZGB, Art. 91 türkZGB alt) können nur mit Erlaubnis ihres gesetzlichen Vertreters heiraten. Da es in der Praxis auch vorkam, dass der gesetzliche Vertreter die Erlaubnis ohne triftigen Grund verweigerte, haben diese Bestimmungen zu unbefriedigenden Ergebnissen geführt und zwar insbesondere dann, wenn die minderjährige Frau mit dem selbst gewählten Mann "gegangen" (kaçmak) war, um einer Zwangsverheiratung durch die Eltern zu entgehen. Mit Art. 128 türkZGB hat der Gesetzgeber dem Richter die Möglichkeit eingeräumt, eine solche Heirat zu genehmigen, nachdem der gesetzliche Vertreter der Verlobten angehört wurde.
Rz. 13
Diese Genehmigung kann auch durch ein deutsches Gericht erfolgen, falls die Verlobten sich in Deutschland aufhalten und die Heirat dem Wohl des Minderjährigen dient (Haager Minderjährigenschutzabkommen).
Rz. 14
Nach altem Recht durften Personen, die an einer Geisteskrankheit leiden, nicht heiraten (Art. 89 Abs. 2 türkZGB alt). Diese Bestimmung wurde aufgehoben und in Art. 133 türkZGB wie folgt neu geregelt: Wer an einer Geisteskrankheit leidet, darf erst dann heiraten, wenn mit Attest der amtlichen Gesundheitskommission festgestellt wurde, dass hinsichtlich der Heirat keine medizinischen Bedenken bestehen. Damit hat der Gesetzgeber den Weg für die Heirat von Personen eröffnet, die an einer heilbaren und nicht schweren geistigen Krankheit leiden.
Rz. 15
Die durch den Tod des Ehegatten, Scheidung oder Aufhebung der Ehe verwitwete Ehefrau darf vor Ablauf einer Wartezeit von 300 Tagen seit Beendigung ihrer Ehe nicht heiraten (Art. 132 türkZGB, vgl. § 8 deutsches EheG). Die Wartezeit ist im türkischen Recht traditionell vorgesehen, um die Verwandtschaft eines Kindes zutreffend zu bestimmen. Im türkischen Recht gilt der Ehemann als Vater, wenn ein Kind während der Ehe oder vor Ablauf von 300 Tagen nach Beendigung der Ehe geboren ist (Art. 285 Abs. 1 türkZGB). Dementsprechend endet diese Wartezeit für die Frau, wenn sie ein Kind zur Welt bringt oder das Friedensgericht (Sulh Hukuk Mahkemesi) diese Wartezeit aufhebt. Die Aufhebung erfolgt, wenn festgestellt wird, dass die Frau aus ihrer früheren Ehe nicht schwanger ist, oder wenn sie sich mit dem geschiedenen Ehemann wiederverheiraten möchte.
Rz. 16
Praxishinweis: Es wird empfohlen, dass die betroffene Frau dem Friedensgericht ein ärztliches negatives Schwangerschaftsattest vorlegt.
Rz. 17
Ein absolutes Ehehindernis besteht
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zwischen Verwandten in auf- und absteigender Linie, |
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zwischen engen Verwandten in der Seitenlinie (Geschwister, Tante, Onkel, Neffe und Nichte), |
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zwischen einem Ehegatten und Verwandten des anderen Ehegatten in gerader Linie, selbst wenn die die Schwägerschaft schaffende Ehe bereits beendet ist, |
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zwischen dem Adoptivkind und dem Adoptierenden oder |
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zwischen diesen und dem Nachkommen oder Ehegatten des anderen (Art. 129 türkZGB). |
Polygamie ist nicht zulässig. Daher muss die Partei, die bereits einmal verheiratet war, ihre rechtskräftige Scheidung nachweisen.
Rz. 18
Im türkischen Recht ist die zivile Eheschließung zwingend vorgeschrieben. Beide Verlobte müssen vor dem Standesbeamten (Nikah Memuru) und in Anwesenheit der Zeugen ihren freien Heiratswillen zum Ausdruck bringen. Eine religiöse Trauung ohne vorherige Zivilehe ist strafbar. Religiöse Ehen (imam nikahi) haben keine zivilrechtlichen Wirkungen. Da religiöse Ehen in den ländlichen Regionen der Türkei immer noch verbreitet sind, werden in regelmäßigen Abständen sog. Amnestie-Gesetze erlassen, um diesen Ehen die Eintragung in das Personenstandsregister zu ermöglichen. Die türkische Regierung hat am 19.10.2017 den Art. 22 des Personenstandsregister-Dienstleistungsgesetzes (Nüfus Hizmetleri Kanunu) geändert und die Muftis zur offiziellen Trauung ermächtigt. Eine gegen diese Regelung erhobene Verfassungsbeschwerde wurde verworfen.
Rz. 19
Unter dem Vierten Abschnitt des türkZGB werden die absolute Ungültigkeit (mutlak butlan; Nichtigkeit) und die befristete Ungültigkeit (nisbi butlan; Teilungültigkeit, schweb...