Rz. 138
Das Gericht trifft von Amts wegen nach Eröffnung des Scheidungs- oder Trennungsverfahrens die während der Dauer des Verfahrens notwendigen Maßnahmen, die insbesondere für Unterkunft, Lebensunterhalt und Verwaltung der Vermögen von Ehegatten und für Pflege und Schutz der Kinder erforderlich sind (Art. 169 türkZGB).
Rz. 139
Dieses Recht auf Unterhalt wird weder im Urteil noch in der Auskunft auf istirak nafakasi (Kindesunterhalt) beschränkt. Gemäß Art. 182 Abs. 2 türkZGB muss der Richter im Scheidungsurteil eine Entscheidung über den Kindesunterhalt von Amts wegen treffen. Sonst liegt ein Anfechtungsgrund vor. Dazu ist weder eine Aufforderung notwendig noch ist ein Verzicht von Seiten der Eltern gültig. Die Unterhaltspflicht der Eltern dauert bis zur Volljährigkeit des Kindes (Art. 328 Abs. 1 türkZGB). Bis Abschluss einer Ausbildung sind die Eltern auch gegenüber ihren volljährigen Kinder unterhaltspflichtig, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden kann (Art. 328 Abs. 2 türkZGB).
Rz. 140
Ansonsten existiert im türkischen Recht eine allgemeine Bestimmung, die die Unterhaltspflicht gegenüber Verwandten in auf- und absteigender Linie sowie Geschwistern definiert (Art. 364 Abs. 1 türkZGB). Im Unterschied zur schweizerischen Regelung setzt die türkische bei der Unterhaltsverpflichtung gegenüber Verwandten in auf- und absteigender Linie keinen eigenen Wohlstand des Unterhaltspflichtigen voraus.
Rz. 141
Beim Unterhalt des türkischen Kindes werden in Deutschland die Düsseldorfer Tabellensätze angewandt. Lebt das Kind in der Türkei, ist der konkrete Unterhaltsbedarf zu ermitteln.
Rz. 142
Für den Bedürftigkeitsunterhalt des geschiedenen Ehegatten müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
▪ |
Anforderung: Es muss zunächst ein Anspruch auf Unterhalt vorhanden sein. Ein türkischer Richter darf nicht Bedürftigkeitsunterhalt von Amts wegen zusprechen. |
▪ |
Der Unterhaltsbegehrende darf nicht Schuldiger sein: Gemäß Art. 175 türkZGB darf der Unterhaltsberechtigte bei den Ereignissen, die zu einer Scheidung geführt haben, nicht schuldiger sein als der unterhaltspflichtige Ehepartner. Ist die Scheidung wegen vollem oder überwiegendem Verschulden des Unterhaltsberechtigten erfolgt, führt dies zu einem Ausschluss des Bedürftigkeitsunterhalts (Abs. 1); auf ein Verschulden des Unterhaltspflichtigen kommt es nicht an (Abs. 2). Allein die Verteilung der Gerichtskosten kann kein endgültiges Beweismittel sein, um die überwiegende Schuld einer Partei festzustellen. Sind die Parteien am Prozess teilweise schuldig, verteilt der Richter i.d.R. die Verfahrenskosten unter den Parteien proportional zum Schuldanteil. Jedoch kann auch die Partei, die den Prozess gewonnen hat, dazu verpflichtet werden, die gesamten Gerichtskosten zu tragen, wenn diese sich während des Prozesses böswillig verhalten hat, bzw. wenn sie den Prozess absichtlich hinausgezögert, unnötige Prozesskosten verursacht oder die für den Prozess ausschlaggebenden Unterlagen nicht rechtzeitig der anderen Seite überliefert hat, kann sie verpflichtet werden, die Prozesskosten zu tragen oder aber Geldstrafe zu bezahlen. Unter solchen Umständen kann der Richter sogar entscheiden, dass der Prozessgewinner die Anwaltskosten des Verlierers mittragen muss. Ein Scheidungsurteil muss nicht unbedingt Feststellungen über die Schuldanteile der Ehegatten enthalten, um einen Ehegatten zum Unterhalt verpflichten zu können. |
▪ |
Der Unterhaltsberechtigte muss durch die Scheidung in Bedürftigkeit geraten sein: Der Gleichberechtigungsgrundsatz hat sich in diesem Punkt nicht unbedingt zugunsten der Frau ausgewirkt. Ein Ehegatte kann vom anderen nach der Scheidung Unterhalt verlangen, wenn er bedürftig ist und der andere Ehegatte die Scheidung überwiegend verschuldet hat. Ein Ehegatte ist nach türkischem Recht nicht bedürftig, wenn er ein regelmäßiges Einkommen hat und seinen Mindestlebensunterhalt (Existenzminimum) abdecken kann. |
Rz. 143
Bei den Unterhaltsentscheidungen ist besonders schwer festzulegen, welche Kriterien bei der Bemessung des Unterhalts durch deutsche bzw. türkische Gerichte zu berücksichtigen sind, da der "Bedürftigkeitsbegriff" in beiden Rechtsordnungen anders ausgelegt wird. Bei der Scheidung türkischer Staatsangehöriger durch deutsche Gerichte muss die Bedürftigkeit nach türkischem Recht (Art. 175, 182 und 364 türkZGB) festgestellt werden.
Rz. 144
Im türkischen Zivilgesetzbuch wird nicht definiert, was Bedürftigkeit ist. Daher ist die Definition von Bedürftigkeit dem Richter überlassen, der sich an der sozioökonomischen Struktur des Landes (in dem die betroffene Person ihren Wohnsitz hat) orientiert.
Rz. 145
Der Bedürftigkeitsunterhalt muss während des Scheidungsprozesses verlangt werden. Wenn eine Partei während des Scheidungsprozesses diesen Unterhaltsanspruch nicht geltend macht oder verlangt und der Richter in seinem Urteil diesen folglich nicht gewährt, kann er nach dem Scheid...