Rz. 84
Für Scheidungs- und Trennungsklagen ist das Familiengericht am Wohnsitz eines der Ehegatten oder an dem Ort, an dem die Ehegatten zuletzt mindestens sechs Monate zusammen gewohnt haben, zuständig (Art. 168 türkZGB).
Rz. 85
Das türkische Recht kennt keinen Anwaltszwang. Jede Person, die die Parteifähigkeit in einem Prozess besitzt, kann selbst Klage erheben und prozessieren oder dies durch eine Vertretung verrichten (Art. 59 Abs. 1 türkZPO). Alle Personen, die geschäftsfähig (volljährig und mündig) sind (Art. 9 türkZGB), haben uneingeschränkte Parteifähigkeit (Prozessfähigkeit, Klagebefugnis). Urteilsfähige Minderjährige und Bevormundete sind beschränkt prozessfähig. In den folgenden drei Bereichen können diese selbst Klage erheben oder eine Vertretung beauftragen:
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Wenn es sich um die Rechte handelt, die eng an die Person gebunden sind: Scheidung, Trennung oder Vaterschaftsanerkennung. |
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Wenn diesen Personen die Ausübung eines Berufs oder Gewerbes gestattet ist, sind sie ebenfalls prozessfähig hinsichtlich der Klagen, die die Ausübung dieses Berufs oder Gewerbes betreffen (Art. 359, 453 und 467 Abs. 7 türkZGB). |
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Wenn diese Personen zur Verwaltung bestimmter Vermögen bereits berechtigt worden sind, sind sie bei den Klagen hinsichtlich dieser Vermögensteile prozessfähig (Art. 359 und 455 türkZGB). |
Rz. 86
Der zuständige Richter kann nur in zwei Fällen Anwaltszwang anordnen:
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Wenn der Betroffene sich vor Gericht nicht vernünftig benimmt, wird nach der ersten fruchtlosen Mahnung Anwaltszwang angeordnet (Art. 70 türkZPO). |
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Stellt der zuständige Richter fest, dass der Betroffene nicht in der Lage ist, den Prozess mit der erforderlichen Sorgfalt zu betreiben, ordnet er Anwaltszwang an (Art. 71 türkZPO). |
Rz. 87
Die Türkei beachtet die Rechtshängigkeit in Deutschland. Ist in der Türkei hingegen lediglich ein Antrag auf Trennung von Tisch und Bett eingereicht, begründet dies keine anderweitige Rechtshängigkeit, die dem in Deutschland eingereichten Scheidungsantrag des anderen Ehegatten entgegengehalten werden kann.
Rz. 88
Mit der Klageerhebung tritt im türkischen Recht Rechtshängigkeit ein (Art. 185 und Art. 187 Abs. 4 türkZPO). Die Klage ist mit Eingang der Klageschrift bei Gericht erhoben (Art. 178 türkZPO). Da die Rechtshängigkeit nach lex fori ermittelt wird, entstehen hier praxisrelevante Konstellationen im deutsch-türkischen Rechtsverhältnis: Im türkischen Recht fällt Anhängigkeit und Rechtshängigkeit zusammen. Hat die Klageschrift den Eingangsstempel des Gerichtssekretariats erhalten, ist das Verfahren rechtshängig. In Deutschland tritt Rechtshängigkeit erst mit Zustellung der Klage an den Beklagten ein (§ 261 Abs. 1 i.V.m. § 253 Abs. 1 ZPO). In Deutschland kann zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit eine gewisse Zeit vergehen. Daher kommt es in der Praxis oft vor, dass der vorinformierte Beklagte eine schnellere Rechtshängigkeit in der Türkei herbeiführt. Ist diese Situation nicht erwünscht, sollte nach Möglichkeit die gegnerische Seite nicht vorgewarnt und von einem eventuellen Prozesskostenhilfeantrag abgesehen werden.
Rz. 89
Beim Sorgerecht der Kinder kann eine solche ausländische Rechtshängigkeit unberücksichtigt bleiben, weil das Haager Minderjährigenschutzabkommen den Staat zum Wohle des Kindes verpflichtet, in dem das Kind wohnhaft ist. Kindesentführung begründet freilich keinen rechtmäßigen Wohnsitz im Entführungsland.
Rz. 90
Die Verfahrensdauer variiert je nach Erfordernissen des konkreten Falls und der Arbeitsbelastung des Gerichts. Das streitige Scheidungsverfahren in der Türkei dauert wesentlich länger als in Deutschland. Scheidungsurteile bei einvernehmlichen Scheidungsverfahren werden zügiger ausgesprochen.
Rz. 91
Es gibt in der Türkei Gebührentabellen für Anwälte, die üppige Gebühren vorsehen. Es ist ratsam, mit den Anwälten eine verbindliche Honorarvereinbarung zu treffen.