1. Pflichtteilsberechtigte und Pflichtteilsquote
Rz. 62
Pflichtteilsberechtigt sind gem. Art. 505 Abs. 1 ZGB und Art. 506 ZGB (zuvor Art. 453) die Abkömmlinge, die Eltern und der Ehegatte. Das Pflichtteil der Geschwister des Erblassers wurde bereits 2007 abgeschafft. Der Pflichtteil ist im Gegenteil zum deutschen Recht kein lediglich schuldrechtlicher Anspruch, sondern ein echtes Noterbrecht. Es ist die den Noterben vorbehaltene quotale Beteiligung am Vermögen des Erblassers, die der Verfügung des Erblassers entzogen ist.
Rz. 63
Die Pflichtteilsquote beträgt für einen Nachkommen die Hälfte des gesetzlichen Erbanspruches (zuvor ¾), für jeden Elternteil ein Viertel (zuvor ½) des gesetzlichen Erbteils. Der Ehegatte erhält neben gesetzlichen Erben das gesamte Erbteil und in den übrigen Fällen drei Viertel (zuvor ½) des gesetzlichen Erbteils als Pflichtteil.
Kinder |
Eltern |
Ehegatte |
Noterbquoten |
Freiteil |
x |
/ |
– |
alleiniges Kind bzw. alle Kinder insgesamt ½ |
½ |
x |
/ |
X |
Kinder insgesamt ⅜ Ehegatte ¼ |
⅜ |
– |
– |
X |
Ehegatte ¾ |
¼ |
– |
X |
X |
Ehegatte ½ beide Eltern insgesamt ¼ |
¼ |
– |
X |
– |
Eltern insgesamt ¼ |
¾ |
Rz. 64
Die Umgehung des Pflichtteils wird in der Praxis häufig mit lebzeitigen Scheingeschäften versucht. Der Scheinverkauf (angeblich kein Geschenk) von Grundstücken oder Schein-Leibgedingsvertrag (Verpfründungsvertrag = Unterhalt und Pflege auf Lebenszeit) sind die meist gebrauchten Formen hierfür. Der türkische Kassationshof geht unnachgiebig gegen diese Scheingeschäfte mit Nichtigkeitsurteilen vor, die für die Gerichte verbindlich sind. Auch solche erbrechtlichen Geschäfte werden vom Kassationshof in der Gesamtheit für nichtig erklärt, die nur zum Teil nichtig sind. Der wirksame Teil wird wegen Formmangels (Art. 557 Abs. 4 ZGB) oder wegen Rechts- oder Sittenwidrigkeit (Art. 557 Abs. 3 ZGB) annulliert. Zu Lebzeiten des potenziellen Erblassers darf eine Klage wegen Scheingeschäfts nicht eingereicht werden.
Geschädigte von Scheingeschäften können eine Grundstück-Berichtigungsklage einreichen. Diese Klage unterliegt keinen Verjährungsfristen.
2. Berechnungsgrundlage für den Pflichtteil
Rz. 65
Die Zeit des Todes des Erblassers ist bei der Berechnung des verfügbaren Teils maßgebend. Der Stand des Vermögens zu diesem Zeitpunkt wird grundsätzlich berücksichtigt (Art. 507 Abs. 1 ZGB). Die Schulden des Erblassers, die Begräbnisauslagen, Auslagen für Siegelung und Inventaraufnahme sowie die dreimonatigen Unterhaltskosten der Hausgenossen, deren Unterhalt der Erblasser geleistet hat, sind bei der Berechnung abzuziehen (Art. 507 Abs. 2 ZGB). Die Zuwendungen unter Lebenden werden dem Vermögen in der Höhe hinzugerechnet, in der sie der Herabsetzungsklage unterstellt sind (Art. 508 ZGB). Auch die Versicherungsansprüche, die zugunsten eines Dritten begründet oder bei Lebzeiten des Erblassers unentgeltlich auf einem Dritten übertragen worden sind, werden in Höhe des Rückkaufswertes im Zeitpunkt des Todes...