1. Allgemeines
Rz. 95
Ausländische Gerichtsurteile bedürfen zu ihrer Wirksamkeit in der Türkei der Anerkennung durch die türkischen Gerichte. Obwohl die Voraussetzungen für diese Verfahren in den Art. 54 und 58 türkIPRG definiert werden, treten in der Praxis eine Fülle von Problemen auf. Spannungen entstehen zumeist im Bereich des Scheidungsrechts.
Rz. 96
Nach Sinn und Wortlaut des Art. 58 Abs. 1 S. 1 türkIPRG bedarf ein ausländisches Scheidungsurteil weder eines Anerkennungs- noch eines Vollstreckungsurteils eines türkischen Gerichts. Es reicht für die Anerkennung aus, wenn von Seiten der jeweils zuständigen Ämter (z.B. Nüfus Müdürlügü – Direktorat für Personenstandsregister) festgestellt wird, dass das ausländische Urteil die gesetzlichen Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt. Anfechtungsresistent wird es dadurch jedoch nicht. Dazu bedarf es einer Anerkennung durch das türkische Gericht, welches das Urteil zu einem unanfechtbaren Beweismittel werden lässt (Art. 58 Abs. 1 S. 1 türkIPRG). Jedoch wird in der türkischen Rechtspraxis diese Regelung anders ausgelegt und angewandt. So wird i.d.R. die Wirksamkeit der ausländischen Urteile davon abhängig gemacht, dass die Anerkennung durch ein türkisches Gericht erfolgt ist, d.h., die Ausnahme wird zur Regel gemacht.
Rz. 97
Die Frage, ob ein ausländisches Scheidungsurteil von türkischen Gerichten – wenn überhaupt – nur anerkannt werden muss oder ob es eines zusätzlichen Vollstreckungsurteils bedarf, ist von hoher Relevanz, da das Anerkennungsverfahren anderen Voraussetzungen unterliegt als das Vollstreckungsverfahren. Grundsätzlich bedarf ein Scheidungsurteil keiner Vollstreckungsentscheidung, sondern nur der Anerkennung, da es ein "Gestaltungsurteil" (yenilik dogurucu karar – insai karar) ist. Allerdings ist für die mit dem Scheidungsurteil verbundenen Unterhalts- oder Schadensersatzfragen nach türkischem Recht eine Vollstreckungsentscheidung notwendig.
Rz. 98
Mit einer neuen Verordnung hat die Türkei die Anerkennung der Scheidungsurteile ohne weitere Vollstreckungsnotwendigkeit (Sorgerecht, Unterhalt etc.) erleichtert. Eine Antragstellung ist sowohl durch gemeinsame Erklärung der Parteien möglich als auch durch Erklärung nur einer Partei, wobei die andere Partei innerhalb von 90 Tagen nach der Antragstellung durch die eine Partei ebenfalls ihren Antrag stellen muss. Auf diese Weise können ausländische Urteile in der Türkei durch das Personenstandsregister ohne Beteiligung der Gerichte anerkannt werden. Sollten sich die Parteien nicht auf diese Verfahrensweise einigen können oder weist das Urteil der Vollstreckung unterliegende Teile auf – wie Sorgerecht oder Unterhalt –, bleibt es bei dem bisher üblichen Gerichtsverfahren.
Rz. 99
Die deutschen Gerichte beschäftigt in Anerkennungsverfahren die Tatsache, dass in den Urteilen der türkischen Familiengerichte gleichzeitig die Scheidungsfolgen (materieller Schadensersatz/Entschädigung gemäß Art. 174 Abs. 1 türkZGB und immaterieller Schadensersatz/Genugtuung gemäß Art. 174 Abs. 2 türkZGB) mitgeregelt werden. Da die Verurteilungen zum Schadensersatz in der Regel ohne Bezugnahme auf die Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit der Ehegatten erfolgen, besteht hier die Gefahr, dass die deutschen Gerichte diese nicht als Unterhaltsanspruch qualifizieren und die Anwendung von HUVÜ verneinen. Hier hilft das Günstigkeitsprinzip des internationalen Zivilverfahrensrechts, wonach zwischenstaatliche Abkommen die Anerkennung ausländischer Entscheidungen erleichtern und nicht erschweren sollen. In diesen Fällen bietet sich das innerstaatliche Vollstreckbarerklärungsverfahren nach § 110 Abs. 2 S. 1 FamFG als günstiger Weg an, weil eine Vollstreckbarerklärung der im türkischen Scheidungsurteil titulierten Schadenersatzansprüche nach innerstaatlichem Recht ohne Rücksicht auf deren unterhaltsrechtliche Qualifikation erfolgen kann.
Rz. 100
Außerdem ist das Scheidungsurteil im türkischen Recht im Personenstandsregister einzutragen. Ob diese Eintragung eine Vollstreckungsentscheidung voraussetzt, ist in der türkischen Rechtsliteratur strittig, wird von der h.M. jedoch verneint, weil sie keine konstitutive Bedeutung hat.