Rz. 77
Mit dem Erbvertrag kann der Erblasser entweder eine Person begünstigen (positiver Erbvertrag, Art. 527 Abs. 1 ZGB) oder den Verzicht eines zukünftigen Erbberechtigten entgegennehmen (negativer Erbvertrag). Die Erbverträge können, wie im deutschen Recht, ein- oder zweiseitig verfügend und entgeltlich oder unentgeltlich sein.
Rz. 78
Die Testierfähigkeit des Vertragserblassers genügt nicht, weil er sich vertragsmäßig bindet. Zum Abschluss eines Erbvertrages bedarf der Erblasser daher der Urteilsfähigkeit, Mündigkeit und Volljährigkeit (Art. 503 ZGB). Volljährig ist, wer das 18. Lebensjahr vollendet hat. Heirat macht volljährig (Art. 11 ZGB). Eine Vertretung des Vertragserblassers ist ausgeschlossen. Verfügt der Vertragsgegner nicht ebenfalls von Todes wegen, kann er durch seinen gesetzlichen oder gewillkürten Vertreter handeln.
Rz. 79
Beim Erbgang bleibt der Erbe außer Betracht, mit dem der Erblasser einen (entgeltlichen oder unentgeltlichen) Erbverzichtsvertrag geschlossen hat (Art. 528 Abs. 1 und 2 ZGB). Ist im entgeltlichen Erbverzichtsvertrag nichts anderes bestimmt, scheiden die Nachkommen des Verzichtenden ebenfalls aus der Erbfolge aus (Art. 528 Abs. 3 ZGB). Der Erbverzichtsvertrag wird unwirksam, wenn die Erben, die im Vertrag anstelle des Verzichtenden begünstigt werden sollen, die Erbschaft aus irgendeinem Grunde nicht erwerben (Art. 529 Abs. 1 ZGB). Ist der Verzicht zugunsten von Miterben erfolgt, so wird vermutet, dass die Nachkommen des nächsten gemeinsamen Vorfahren durch den Erbverzicht begünstigt werden sollen. Der Verzichtsvertrag ist ebenfalls unwirksam, wenn die Personen aus diesem Begünstigtenkreis aus irgendeinem Grunde nicht erben (Art. 529 Abs. 2 ZGB).
Rz. 80
Auf Erbverträge ist das "Haager Übereinkommen über das auf die Form letztwilliger Verfügungen anzuwendende Recht" nicht anwendbar. Daher sind sie gem. § 16 des Nachlassabkommens formgültig, wenn die Gesetze des Errichtungsortes oder die Gesetze des Staates, dem der Erblasser zur Zeit der Errichtung angehörte, beachtet sind. Angesichts dieser Vorschrift genügt es, wenn ein deutscher Erblasser die deutschen Formvorschriften für den Erbvertrag einhält. Bei der Durchsetzung der ausländischen (hier deutschen) Urkunde in der Türkei ist zu beachten, dass sowohl Deutschland als auch die Türkei Vertragsstaaten des "Haager Übereinkommens zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation" vom 5.10.1961 sind. Nach diesem Übereinkommen wird in den Vertragsstaaten die erforderliche Legalisation durch die "Apostille" ersetzt.
Rz. 81
Was Grundstücke angeht, ist die Türkei im wahrsten Sinne des Wortes "äußerst empfindlich". Daher wird es unnötigen Ärger und Zeitverlust ersparen, wenn für die in der Türkei belegenen Gründstücke die türkischen Formvorschriften (eventuell zusätzlich) beachtet werden. Im türkischen Recht ist für den Erbvertrag die Form des öffentlichen Testaments vorgeschrieben (Art. 545 Abs. 1 ZGB). Die Vertragsparteien haben gleichzeitig vor dem Beamten ihren Willen zu erklären (Art. 545 ZGB Abs. 2). Erbverträge in der Form des eigenhändigen und außerordentlichen Testaments sind ausgeschlossen. Nur bei dem einseitigen Rücktritt vom Erbvertrag können auch die anderen gesetzlichen Testamentsformen in Anspruch genommen werden (Art. 546 Abs. 3 ZGB).
Rz. 82
Die Bindungswirkung des Erbvertrages hindert den Vertragserblasser nicht, über sein Vermögen zu Leibzeiten frei zu verfügen. Jedoch unterliegen die Verfügungen von Todes wegen oder Schenkungen, die mit seinen Verpflichtungen aus dem Erbvertrag nicht vereinbar sind, der Anfechtung (Art. 527 Abs. 2 ZGB). Die vertragswidrigen Verfügungen werden erst nach einer erfolgreichen Herabsetzungsklage unwirksam. Tritt für den Erblasser eine Beschränkung der Verfügungsfreiheit nach Errichtung ein, so wird die Verfügung nicht ungültig, wohl aber der Herabsetzungsklage unterstellt (Art. 549 ZGB).
Rz. 83
Die Beseitigung der Bindungswirkung kann wie im deutschen Recht durch Aufhebung, Rücktritt und Anfechtung oder ipso iure eintreten. Die Vertragsparteien können den Erbvertrag mit einem neuen schriftlichen Vertrag jederzeit aufheben (Art. 546 Abs. 1 ZGB). Im Gegensatz zum deutschen Recht (§ 2290 Abs. 4 BGB) bedarf der Aufhebungsvertrag der Form des Erbvertrages nicht, es genügt eine einfache schriftliche Übereinkunft. Anders als im deutschen Recht kann der Erbvertrag durch gemeinschaftliches Testament der Parteien (§ 2292 BGB) aber nicht aufgehoben werden, weil nach türkischem Recht diese Testamentsart nicht zulässig ist. Die einseitige Aufhebung des Erbvertrages ist dem Vertragserblasser möglich, wenn gegen den Begünstigten ein Enterbungsgrund (Art. 510 ZGB) vorliegt (Art. 546 Abs. 2 ZGB). Diese Aufhebung muss jedoch in einer der Formen der letztwilligen Verfügungen erfolgen (Art. 546 Abs. 3 ZGB). Der Erblasser hat nach Art. 547 ZGB auch ein Rücktrittsrecht, wenn der Vertragspartner zur Erbringung der Gegenleistungen an den Erblasser für dessen Lebenszeit ...