Das Wichtigste in Kürze:

1. In einem Bußgeldverfahren darf das Gericht auch wegen einer Straftat verurteilen.
2. Der Übergang vom Bußgeld- zum Strafverfahren erfolgt durch einen gerichtlichen Hinweis.
3. Mit Übergang in das Strafverfahren kann der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nicht mehr zurückgenommen werden.
4. Nach Erteilung des Hinweises kann der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid nicht mehr zurückgenommen werden.
5. Wird der Hinweis erst im Termin erteilt, ist auf Antrag des Angeklagten/Betroffenen die HV zu unterbrechen.
6. Die bisherige Beweisaufnahme kann verwertet werden.
7. Nach erteiltem Hinweis richten sich die Rechtsmittel ausnahmslos nach der StPO.
8. Der Strafklageverbrauch tritt auch dann ein, wenn der gebotene Hinweis unterbleibt.
 

Rdn 3652

 

Literaturhinweise:

Fricke, Zweifelhaftes Hin und Her beim öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung, MDR 1990, 684

Göhler, Anm. zum Beschl. des BayObLG vom 29.9.1987 – 1 Ob OWi 197/87, NStZ 1988, 83

Hillmann, Die Rücküberleitung in das Strafverfahren nach § 81 OWiG – nicht nur ein Ärgernis?, NZV 1995, 55

Ott, Der Übergang vom Bußgeldverfahren ins Strafverfahren, Tübingen 1994

Witt, Wechselndes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, MDR 1990, 1086

Würzberg, Rücküberleitung vom Bußgeldverfahren zum Strafverfahren gem. § 81 OWiG, NZV 1996, 61.

 

Rdn 3653

1. Gem. § 81 Abs. 1 S. 1 ist das Gericht im Bußgeldverfahren an die Beurteilung der Tat als OWi nicht gebunden. Zwar begrenzt der Bußgeldbescheid die Tat im prozessualen Sinn (→ Bußgeldbescheid, Allgemeines, Rdn 633), die rechtliche Würdigung hat indes umfassend zu erfolgen, weshalb auch eine strafrechtliche Verurteilung bei einem Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid möglich ist, und zwar auch, wenn der Einspruch auf die Rechtsfolgen beschränkt wurde (OLG Nürnberg StraFo 2012, 468). Das Gericht muss den Betroffenen zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts hinweisen (vgl. Rdn 3655). Danach richtet sich das Verfahren nach den Vorschriften der StPO.

 

☆ Aus Sicht des Betroffenen kann diese Regelung bei einem vorschnell eingelegten Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid zu dem unerfreulichen Ergebnis einer deutlich schärferen Sanktionierung nach dem Strafrecht führen (Entziehung der Fahrerlaubnis anstelle eines Fahrverbots!).

Unter dem Gesichtspunkt des Strafklageverbrauchs kann es indes für den Betroffenen manchmal durchaus sinnvoll sein, das Risiko in Kauf zu nehmen: Gem. § 84 Abs. 2 steht ein rechtskräftiges Urteil oder ein Beschluss nach § 72 über eine OWi einer Verfolgung als Straftat entgegen. Ein rechtskräftiger Bußgeldbescheid reicht für den Strafklageverbrauch nicht aus, es muss eine gerichtliche Sachentscheidung getroffen worden sein. Nur wenn der Betroffene Einspruch einlegt, damit die gerichtliche Entscheidung herbeiführt und es sodann bei einer Verurteilung als OWi verbleibt, kann er wegen dieser prozessualen Tat später nicht mehr strafrechtlich verurteilt werden (→ Rechtskraft der bußgeldrechtlichen Entscheidung, Rdn 3199).

 

Rdn 3654

2.a) Dem Übergang vom Bußgeld- zum Strafverfahren muss ein gerichtlicher Hinweis vorausgehen (§ 81 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1).

 

☆ Bei dem Hinweis darf nicht zweifelhaft sein, dass es sich gerade um einen Hinweis gem. § 81 handelt. Es reicht hierfür nicht aus, wenn in einem Verfahren nach § 24a StVG vom AG die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wird, weil darin schon formal kein Hinweis gem. § 81 Abs. 2 zu sehen ist (LG Berlin VRS 115, 202; LG Essen NZV 1990, 445).nicht zweifelhaft sein, dass es sich gerade um einen Hinweis gem. § 81 handelt. Es reicht hierfür nicht aus, wenn in einem Verfahren nach § 24a StVG vom AG die Fahrerlaubnis vorläufig entzogen wird, weil darin schon formal kein Hinweis gem. § 81 Abs. 2 zu sehen ist (LG Berlin VRS 115, 202; LG Essen NZV 1990, 445).

 

Rdn 3655

b) Die Regelung in § 81 Abs. 1 S. 2 ist weiter gefasst als § 265 StPO. Der Hinweis ist Voraussetzung für jede Entscheidung des Gerichts aufgrund eines Strafgesetzes, also auch dann, wenn letztlich keine Verurteilung wegen einer Straftat erfolgt (BGHSt 35, 298, 303; OLG Hamm NStE Nr. 6 zu § 81 OWiG).

 

Rdn 3656

c) Liegt ein hinreichender Tatverdacht wegen einer Straftat vor und bestehen keine Verfahrenshindernisse, hat das Gericht den Hinweis von Amts wegen zu erteilen. Es besteht für das Gericht kein Ermessen (Göhler/Seitz/Bauer, § 81 Rn 8; a.A. Hillmann NZV 1995, 55). Gem. § 81 Abs. 2 S. 1 muss der Hinweis auch auf Antrag der StA erteilt werden (OLG Hamburg NStZ 1986, 81, und zwar selbst dann, wenn das EV zuvor eingestellt worden war; krit. Fricke MDR 1990, 684 und Hillmann NZV 1995, 55; zust. Witt MDR 1990, 1086). Das Gericht ist an den Antrag der StA nur dann nicht gebunden, wenn die StA den Übergang in das Strafverfahren trotz begründeter Bedenken "willkürlich und um jeden Preis" zu erreichen versucht (OLG Stuttgart, abgedr. bei Korte NZV 2004, 671, 676 = Justiz 2003, 597).

 

Rdn 3657

Wurde der Antrag auf Überleitung von der StA vor dem AG gestellt (s. Nr. 290 RiStBV), aber zu...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge