Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr i.S.d. § 112 Abs. 2 Nr. 3 liegt vor, wenn das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, dass durch bestimmte Handlungen auf sachliche oder persönliche Beweismittel eingewirkt und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschwert werden wird. |
2. |
Die Verdunkelungsgefahr muss aufgrund bestimmter Tatsachen, die jedoch nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen müssen, begründet sein. |
3. |
Verdunkelungsgefahr besteht nicht (mehr), wenn der Sachverhalt in vollem Umfang aufgeklärt ist und die Beweise gesichert sind. |
Rdn 4741
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil U Rdn 4650.
Rdn 4742
1.a) Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr i.S.d. § 112 Abs. 2 Nr. 3 liegt vor, wenn das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht (→ Untersuchungshaft, Haftbefehl, Tatverdacht, Teil U Rdn 4707) begründet, dass durch bestimmte Handlungen auf sachliche oder persönliche Beweismittel eingewirkt und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschwert werden wird (u.a. z.B. KG, Beschl. v. 30.4.2019 – (4) 161 HEs 22/19, StraFo 2019, 416; OLG München StV 1995, 86; OLG Frankfurt am Main StV 2000, 151; 2009, 652; OLG Hamm StV 2002, 205; wistra 2006, 278; StraFo 2004, 134), und zwar aktiv (OLG Köln StV 1997, 27; 2018, 164; OLG Hamm, Beschl. v. 14.1.2010 – 2 Ws 347/09; OLG Karlsruhe StraFo 2002, 15; dazu auch StrafPrax-Deckers, § 5 Rn 106 ff.; Münchhalffen StraFo 1999, 335; Langner, S. 167; Herrmann, Rn 761 ff.; SSW-StPO/Herrmann, § 112 Rn 73 ff.). Dabei bezieht sich der Haftgrund nur auf die Taten, die dem Haftbefehl zugrunde liegen (OLG Frankfurt am Main StV 2009, 652 m.w.N.). Der Haftgrund wird zwar in der Praxis seltener angewandt, er birgt aber für den Beschuldigten eine größere Gefahr, da er zur Sicherung des EV auch dann angenommen werden kann, wenn sich aufgrund einer nur niedrigen Straferwartung Fluchtgefahr nicht begründen lässt.
☆ Nach § 113 Abs. 1 darf ein HB wegen Verdunkelungsgefahr allerdings nicht angeordnet werden, wenn die Tat nur mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bedroht ist.nicht angeordnet werden, wenn die Tat nur mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bedroht ist.
Rdn 4743
b) Hinweis für den Verteidiger!
Der Verteidiger muss seinen Mandanten rechtzeitig (!) darauf aufmerksam machen, dass er alles zu unterlassen hat, was nur den Anschein erweckt, er wolle auf (sachliche oder persönliche) Beweismittel einwirken, wie also z.B. die Beeinflussung von Zeugen, das Beiseiteschaffen von Beweismitteln u.a. (dazu z.B. OLG Karlsruhe StraFo 2000, 422 [potenzielle Einwirkung auf den Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft]; OLG Saarbrücken StV 2002, 489 [Benennung von Zeugen]). Um "Beiseiteschaffen von Beweismitteln" i.S.d. Nr. 3 handelt es sich nur, wenn das Beweismittel den Ermittlungsbehörden im Rahmen der Strafverfolgung bereits zur Verfügung gestanden hat, nicht hingegen, wenn das Beweismittel, wie z.B. die Beute, noch nicht sichergestellt werden konnte (OLG Frankfurt am Main StV 2009, 652). Der Beschuldigte muss hier häufig eine Gratwanderung unternehmen. Ihm ist es selbstverständlich auch im Hinblick auf die "Verdunkelungsgefahr" nicht verboten, sich zur Sache nicht einzulassen (OLG Köln StV 1992, 383; OLG Hamm, Beschl. v. 14.1.2010 – 2 Ws 347/09), die Unwahrheit zu sagen, die Tat zu bestreiten (OLG Hamm, a.a.O.), (wirtschaftlich von ihm abhängige) Zeugen zu benennen (OLG Saarbrücken, a.a.O.), einen Mitbeschuldigten zu bitten, sich nicht zur Sache einzulassen (OLG Frankfurt am Main StV 2010, 583) oder auch eigene Ermittlungen durchzuführen. Er darf aber z.B. nicht unlauter auf Beweispersonen einwirken (dazu z.B. OLG Hamm wistra 2006, 279). Das gilt auch, wenn es um die Kontaktaufnahme zu einem Zeugen geht (dazu OLG Jena StV 2005, 559; eingehend zu dieser Problematik, vor allem zur Frage des Anbietens einer Geldzahlung für die Rücknahme der Strafanzeige, Deckers/Lederer StV 2009, 139 in der Anm. zu OLG Jena, a.a.O.). Zulässig ist es aber, wenn er sich – prozessordnungsgemäß – an Zeugen wendet, denen → Zeugnisverweigerungsrechte, Teil Z Rdn 5705, zustehen, und sie bittet, von ihrem Weigerungsrecht Gebrauch zu machen (OLG Frankfurt am Main, a.a.O.). Setzt er den Zeugen hingegen unter Druck, besteht Verdunkelungsgefahr (Meyer-Goßner/Schmitt, § 112 Rn 29 m.w.N.; OLG Karlsruhe StV 2001, 686 m.w.N.).
☆ Auch sonstige Handlungen können als Verdunkelungshandlungen in Betracht kommen, wenn sie sich mit dem unlauteren Einwirken auf Beweismittel vergleichen lassen. Das gilt aber nicht für den Versuch, die Entdeckung einer Straftat zu erschweren oder zu vereiteln, indem z.B. die wahre Identität des Beschuldigten verschleiert wird (OLG Hamm, Beschl. v. 14.1.2010 – 2 Ws 347/09) oder bei einer Polizeikontrolle Drogen weggeworfen werden (LG Aachen StV 1997, 535).sonstige Handlungen können als Verdunkelungshandlungen ...