Das Wichtigste in Kürze:
1. |
Der Haftgrund der sog. Wiederholungsgefahr nach § 112a hat in der letzten Zeit in der in der Praxis an Bedeutung zugenommen. |
2. |
Bei einer ggf. drohenden Sicherungshaft muss der Verteidiger besonders beachten, dass die Sicherungshaft nach § 112a Abs. 2 nur subsidiär angeordnet werden kann. |
3. |
Der Haftgrund des § 112a Abs. 1 setzt zunächst voraus dringenden Tatverdacht i.S.d. § 112 Abs. 1 S. 1 hinsichtlich einer der in § 112a Abs. 1 Nr. 1 und 2 genannten (schweren) sog. Anlasstaten voraus. |
4. |
Es müssen außerdem bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, dass der Beschuldigte vor Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen wird. |
5. |
Schließlich muss die Sicherungshaft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich sein. |
Rdn 4748
Literaturhinweise:
S. die Hinw. bei → Untersuchungshaft, Allgemeines, Teil U Rdn 4650 und bei → Untersuchungshaft, Haftbefehl, Außervollzugsetzung, Teil A Rdn 4680.
Rdn 4749
1. Der Haftgrund der sog. Wiederholungsgefahr nach § 112a hat in der letzten Zeit in der in der Praxis an Bedeutung zugenommen. Nach § 112a ist als vorbeugende Maßnahme die Sicherungshaft zum Schutz vor weiteren erheblichen Straftaten besonders gefährlicher Täter erlaubt. Sie ist kein Mittel der Verfahrenssicherung, was bei der Anwendung der Vorschrift zu beachten ist (u.a. OLG Bremen, Beschl. v. 26.5.2023 – 1 Ws 40/23, StV 2024, 167 [Ls.]).
☆ Dem in U-Haft-Sachen nicht so erfahrenen Rechtsanwalt/Verteidiger ist zu empfehlen, da die Bejahung dieses Haftgrundes für den Mandanten allerhöchste Gefahr im Hinblick auf eine hohe Strafe (Rückfalltäter!) bedeutet und mit seiner Bejahung ggf. auch in Richtung der Sicherungsverwahrung gezielt wird, in diesen Fällen möglicherweise einen erfahreneren Kollegen beizuziehen.hohe Strafe (Rückfalltäter!) bedeutet und mit seiner Bejahung ggf. auch in Richtung der Sicherungsverwahrung gezielt wird, in diesen Fällen möglicherweise einen erfahreneren Kollegen beizuziehen.
Nach § 122a darf der Vollzug der U-Haft wegen Wiederholungsgefahr nicht länger als ein Jahr dauern. Für die Frist gilt die Ruhensvorschrift des § 121 Abs. 3 (OLG Bremen, Beschl. v. 26.5.2023 – 1 Ws 40/23, StV 2024, 167 [Ls.]).
Rdn 4750
b) Nach der Rspr. ist die Vorschrift des § 112a mit dem GG vereinbar (BVerfG NJW 1973, 1363 f.) und verstößt auch nicht gegen die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK (Meyer-Goßner/Schmitt, § 112a Rn 1 m.w.N.; SSW-StPO/Herrmann, § 112a Rn 1; zur Rspr. des EGMR Kühne StV 2002, 386); an die Bejahung ihrer Voraussetzungen sind aber strenge Anforderungen zu stellen (KG, Beschl. v. 28.2.2012 – 4 Ws 18/12; OLG Bremen, Beschl. v. 26.5.2023 – 1 Ws 40/23; OLG Frankfurt am Main StV 2010, 31; OLG Karlsruhe StraFo 2010, 198). Die Vorschrift wird in der Lit. z.T. kritisiert (Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.; zur Zulässigkeit der Sicherungshaft s.a. Nerée StV 1993, 212 ff.). Die Vorschrift ist durch das Stalking-Bekämpfungsgesetz erweitert worden. Nach § 112a Abs. 1 Nr. 1 ist die Anordnung von "Sicherungshaft" auch im Fall des § 238 StGB vorgesehen (dazu eingehend Knauer/Reinbacher StV 2008, 377). Eine weitere Ausdehnung hat die Vorschrift durch das "Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder" v. 16.6.2021 erfahren, durch das in den Katalog der Taten nach Nr. 1 auch § 184b Abs. 2 StGB aufgenommen worden ist (dazu BT-Drucks. 19/27928, S. 24 f.).
Rdn 4751
2. Bei einer ggf. drohenden Sicherungshaft muss der Verteidiger besonders § 112a Abs. 2 beachten. Danach kann die Sicherungshaft nur subsidiär angeordnet werden (OLG Köln StV 2003, 169; s.a. OLG Dresden StV 2006, 534 [zurückhaltend Gebrauch machen]; wegen der Einzelh. Meyer-Goßner/Schmitt, § 112a Rn 17). Grds. haben die Haftgründe des § 112 Vorrang. Der HB darf auch nicht hilfsweise neben einen der in § 112 genannten Haftgründe auf den der Wiederholungsgefahr gestützt werden. Nach Auffassung des OLG Jena (StV 2011, 735) ist aber die Anordnung der U-Haft nach § 112a zulässig, wenn ein HB wegen Fluchtgefahr wegen vermeidbarer Verfahrensverzögerung keinen Bestand haben könnte, die Sechs-Monats-Frist des § 121 Abs. 1 aber noch nicht abgelaufen ist. Das ist m.E. zw., denn die Auffassung läuft auf einen "hilfsweisen Haftgrund" hinaus, zudem kann die Verhältnismäßigkeit nicht unterschiedlich je nach Haftgrund beurteilt werden (abl. auch Tsambikakis StV 2011, 738 in der Anm. zu OLG Jena, a.a.O.).
☆ Hinzuweisen ist auf § 122 a. Danach beträgt die Höchstdauer der Sicherungshaft ein Jahr .Höchstdauer der Sicherungshaft ein Jahr.
Rdn 4752
Das Abstellen auf diesen Haftgrund wird auch für das Jugendstrafverfahren als zulässig angesehen (KG StV 2009, 83; Beschl. v. 28.2.2012 – 4 Ws 18/12; OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.10.2023 – 2 Ws 142/23; OLG Bremen StV 2013, 773; OLG Hamburg, Beschl. v. 2.3.2017 – 1 Ws 14/17; LG Hamburg, Beschl. v. 27.3.2014 – 627 Qs 12/14 jug; wohl auch OLG Köln, Beschl. v. 10.10.2018 – 2 Ws 571/18, StraFo 2019, 67; kritisch Rentzel-Rothe StV 2013, ...