Leitsatz
Es ist mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar, dass die Übergangsregelungen vom körperschaftsteuerrechtlichen Anrechnungs- zum Halb-einkünfteverfahren bei einzelnen Unternehmen zu einem Verlust von Körperschaftsteuer-Minderungspotenzial führen, der bei einer anderen Ausgestaltung des Übergangs ohne Abstriche an den gesetzgeberischen Zielen vermieden werden könnte.
Sachverhalt
Für eine AG stellte das Finanzamt auf den 31.12.2001 die Teilbeträge des vEK nach § 47 KStG 1999 fest. Infolge der Umgliederung der EK-Bestände und der Umrechung in das Körperschaftsteuerguthaben verlor die AG einen Teil des Körperschaftsteuer-Minderungspotenzials. Die Klage der AG, wonach die vom Finanzamt angewendeten Normen gegen Art. 14 GG verstießen, blieb ohne Erfolg. Auch der BFH folgte dem Finanzamt.
Entscheidung
Das BVerfG erachtet die Übergangsregelung als gleichheitswidrig. Der Gesetzgeber muss bis zum 1.1.2011 eine verfassungsfeste Neuregelung schaffen, die alle noch nicht bestandskräftigen Bescheide erfasst.
Hinweis
Den Systemwechsel regelten die §§ 36 ff. KStG derart, dass die unterschiedlich mit Körperschaftsteuer belasteten Teilbeträge zusammengefasst und umgegliedert wurden. Das bisherige Körperschaftsteuer-Minderungspotenzial wurde vereinfachend in ein einheitliches Körperschaftsteuer-Guthaben umgewandelt, das während einer Übergangszeit schrittweise abgebaut werden sollte. Dies sollte sicherstellen, dass das unter dem Anrechnungsverfahren entstandene Minderungspotenzial erhalten blieb und auch noch nach dem Systemwechsel verwertet werden konnte.
Der BFH hat diese Übergangsregelungen als verfassungsgemäß eingestuft:
- Im Mittelpunkt stand das Grundrecht auf Eigentum in Art. 14 GG und die Frage einer Enteignung infolge der Reduzierung des Minderungspotenzials. Der BFH hat dies verneint und im Wesentlichen damit begründet, dass Gemeinwohlinteressen und Verhältnismäßigkeit gewahrt seien, hätten die Betroffenen doch die Möglichkeit gehabt, das belastete EK rechtzeitig "leerzuschütten". Etwaige "Nachteilsüberhänge" in Einzelfällen müssten hingenommen werden.
- Nachteil dieser Argumentation war der Hinweis auf Ausweichstrategien, eine Erwägung, die auch andernorts aufgegriffen wurde. So hat der VIII. Senat des BFH es als verfassungskonform angesehen, dass ein Übernahmeverlust bei Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in ein Einzelunternehmen nicht zu berücksichtigen war, da es möglich gewesen sei, "die Kapitalgesellschaft zu liquidieren und hierdurch das Besteuerungsregime des § 17 Abs. 4 EStG auszulösen".
- Konsequenterweise hat der BFH in der Folgezeit Steuergestaltungen akzeptiert, durch die Körperschaftsteuer-Guthaben realisiert werden sollten und die sich beim ersten Blick als eher missbräuchlich darstellten.
Das BVerfG hat das BFH-Urteil samt zugrunde liegender Rechtslage kassiert und sich vorrangig dabei auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gestützt:
- Für die in Folge der Umgliederungsregelungen entstehende ungleiche Körperschaftsteuer-Belastung von Kapitalgesellschaften, deren Minderungspotenzial – im Regelfall – in vollem Umfang erhalten blieb, und jenen, die allein durch die technische Ausgestaltung Verluste erlitten, gibt es keinen sachlichen Grund. Zwar hat der Gesetzgeber mit der Umgliederung das legitime Ziel eines einfachen und zügigen Systemwechsels verfolgt. Alle diese Ziele hätten jedoch mit schonenderen Übergangsvorschriften erreichen können, indem das Körperschaftsteuer-Guthaben unmittelbar aus den zum Stichtag vorhandenen vEK-Teilbeträgen gebildet worden wäre, ohne zuvor die für den Verlust ursächliche Umgliederung nach § 36 Abs. 3 KStG vorzunehmen.
- Den in den Umgliederungsvorschriften angelegten Gleichheitsverstoß vermochten Ausweichmöglichkeiten wie das "Schütt-aus-Leg-ein-" und das "Leg-ein-Hol-zurück-Verfahren" nicht zu rechtfertigen. Zwar können steuerliche Gestaltungen die verfassungsrechtliche Beurteilung einer belastenden Steuervorschrift beeinflussen. Eine Ausweichoption kann jedoch nur dann berücksichtigt werden, wenn das infrage kommende Verhalten zweifelsfrei legal ist, keinen unzumutbaren Aufwand für den Steuerpflichtigen bedeutet und ihn auch sonst keinem nennenswerten finanziellen oder rechtlichen Risiko aussetzt. Davon kann bei diesen Verfahren aber nicht die Rede sein.
Es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber den gebotenen Gleichklang herstellen wird. Und es ist zu hoffen, dass er dabei nicht erneut die Grenzbereiche zum Verfassungswidrigen ausreizt.
Link zur Entscheidung
BVerfG, Beschluss vom 17.11.2009, 1 BvR 2192/05.