Leitsatz
Ein Vermögensverlust von "großem Ausmaß" ist dann regelmäßig anzunehmen, wenn der Schadensbetrag den Wert von 50000 EUR übersteigt.
Sachverhalt
Der Angeklagte wurde wegen Betruges in hundert Fällen zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Der BGH verneinte die Anwendung des § 263 Abs. 3 StGB, der den besonders schweren Fall des Betruges mit einem erhöhten Strafrahmen bedroht. Der Senat macht in der Entscheidung grundlegende Ausführungen dazu, wann von einem Vermögensverlust "großen Ausmaßes" auszugehen ist.
Entscheidung
Das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG gilt auch für Rechtsfolgenvorschriften. Der Begriff des "großen Ausmaßes" ist für sich gesehen unbestimmt. Er erhält erst in der Interpretation durch die Gerichte seine Konturen. Die Strafzumessungsregel bedarf also der richterrechtlichen Konkretisierung im Wege der Auslegung. Nur so wird sie für den Normadressaten voraussehbar und für die Strafjustiz kontrollierbar. Die zutreffende Definition ist nach objektiven Gesichtspunkten zu bestimmen. Eine gleichmäßige Auslegung wird nur so sichergestellt. Eine Anknüpfung an einen durchschnittlich hohen Betrugsschaden scheidet nach Auffassung des BGH schon aus tatsächlichen Gründen aus, weil es keine zuverlässige umfassende Betrugsstatistik gibt, die auch das große Dunkelfeld bei diesem Delikt erfasst. Man kann daher, so die Richter, einen "Durchschnittsschadensbetrag" gerade nicht verlässlich ermitteln. Anderseits hat sich der BGH schon im Zusammenhang mit der Auslegung anderer Strafnormen, bei denen der Begriff "großes Ausmaß" Verwendung findet, mit Wertgrenzen befasst. Hier hat sich als Grenzbetrag die Summe von 100000 DM, also etwa 50000 EUR, verfestigt. Diese Auslegung teilt auch die einschlägige Fachliteratur. Diese Abgrenzung schafft nach Auffassung des Gerichts für die Praxis Rechtssicherheit. Im Einzelfall bleibt im Übrigen genügend Spielraum für eine gerechte Straffindung, bei der die individuellen Verhältnisse und Umstände beachtet werden können, weil nicht schematisch ab einem bestimmten Schadensbetrag geurteilt werden darf. Der Tatrichter muss auch dann, wenn ein Täter diesen Grenzbetrag überschreitet, immer sorgfältig nachprüfen, ob Einzelfallumstände eine mildere Beurteilung gebieten.
Praxishinweis
Der BGH hat sich in diesem Urteil erstmals grundlegend mit der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "großes Ausmaß" im Zusammenhang mit Vermögensdelikten auseinander gesetzt. Dieses Merkmal findet sich nicht nur in einer Vielzahl von Tatbeständen des Wirtschaftsstrafrechts. Auch § 370a AO bedroht neuerdings denjenigen, der gewerbs- oder bandenmäßig Steuern "in großem Ausmaß" verkürzt, mit Freiheitsstrafen nicht unter einem Jahr. Diese Norm hat in der jüngeren Vergangenheit viel Widerspruch insbesondere von Autoren aus Kreisen der Beraterschaft erfahren. Dabei wurde vor allem die angeblich unzureichende Konkretisierung des Tatbestandes gerügt, die zur Verfassungswidrigkeit der Norm führen soll. Der BGH macht deutlich, dass er diese Bedenken nicht teilt. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Strafgerichte bei der Auslegung des § 370a AO künftig ebenfalls an der 50000-EUR-Grenze orientieren werden. Dies führt zu einer erheblichen Ausweitung des Strafbarkeitsrisikos für diejenigen, die im betrieblichen Rahmen Steuern hinterziehen.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 07.10.2003, 1 StR 274/03