1 Leitsatz
Wird ein Beschluss über die Umlage von Kosten, der in einem Altfall einer bestandskräftig beschlossenen Jahresabrechnung zugrunde liegt (Umlage-Beschluss), rechtskräftig für ungültig erklärt, muss die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nach Treu und Glauben von der (weiteren) Durchsetzung von Nachschüssen aus der Jahresabrechnung absehen (Nachschuss-Beschluss). Wird ein Umlage-Beschluss, der einem Nachschuss-Beschluss zugrundeliegt, Beschluss nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG rechtskräftig für ungültig erklärt, ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer zu der Erstellung einer korrigierten Jahresabrechnung verpflichtet und jeder Wohnungseigentümer kann eine solche verlangen.
2 Normenkette
§§ 18, 28 Abs. 2 Satz 1, 44 Abs. 1 Satz 1 WEG
3 Das Problem
Wohnungseigentümer K geht gerichtlich erfolgreich gegen einen Umlage-Beschluss vor, mit dem der Umlageschlüssel für eine Erhaltungsmaßnahme geändert wurde (nach dem Beschluss sollte nur K die Kosten für die Reparatur eines Dachs bezahlen müssen). Fraglich ist u. a., wie sich dieses Urteil auf die Klage auf Nachschuss in einem Altfall auswirkt. Der entsprechende Beschluss für das Jahr 2017 nach § 28 WEG a. F. ist im Sommer 2018 auf Grundlage des angegriffenen Umlageschlüssels gefasst worden und mittlerweile bestandskräftig.
4 Die Entscheidung
Der BGH meint, der allerdings wirksam begründete Zahlungsanspruch sei jetzt nicht (mehr) durchsetzbar. Werde ein Beschluss über eine abweichende Kostenverteilung, der einer bereits beschlossenen Jahresabrechnung zugrunde liege, rechtskräftig für ungültig erklärt, müsse die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nach Treu und Glauben von der weiteren Durchsetzung der Nachschussforderungen aus der Jahresabrechnung absehen. K habe im Übrigen einen Anspruch auf eine erneute Beschlussfassung über die Nachschüsse für das Jahr 2017 auf Grundlage des jetzt für das Dach geltenden Umlageschlüssels. Bei der Erstellung der neuen Jahresabrechnung seien nur die Kosten abweichend zu verteilen, die auf dem für ungültig erklärten Umlageschlüssel beruhten.
5 Hinweis
Problemüberblick
Die Entscheidung behandelt, bezogen auf das geltende Recht, das Verhältnis zwischen dem Beschluss nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG und einem Beschluss nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG. Der BGH meint, die Bestandskraft schütze den Beschluss nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG nicht. Falle eine seiner Grundlagen, nämlich ein Umlageschlüssel, müsse neu beschlossen werden. Das ist sehr gerecht. Und es entspricht den Grundlagen. Ändern sich nämlich die rechtlichen Grundlagen, hat ein Wohnungseigentümer einen Anspruch auf einen Zweitbeschluss. Bei bloßen Rechenfehlern oder der Anwendung eines falschen Umlageschlüssels dürfte das aber nicht so sein.
Was ist für die Verwaltungen besonders wichtig?
Der Umstand, dass gegen einen Beschluss über die Verteilung einzelner Kosten oder bestimmter Arten von Kosten (§ 16 Abs. 2 Satz 2 WEG) eine Anfechtungsklage erhoben worden ist, hindert die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer weder daran, von dem Verwalter eine Jahresabrechnung erstellen zu lassen und den Wohnungseigentümern einen Beschluss über Nachschüsse und Anpassung der Vorschüsse nach § 28 Abs. 2 Satz 1 WEG vorzulegen, noch ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer an der Durchsetzung der durch den Beschluss begründeten Zahlungspflichten gehindert. Ein solches Vorgehen wird regelmäßig sogar ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen. Weil mit der Rechtskraft des Urteils, mit dem ein bei der Berechnung berücksichtigter Beschluss über eine abweichende Kostenverteilung für ungültig erklärt wird, der Schuldgrund unberührt bleibt und lediglich die Durchsetzbarkeit der Nachschussforderung entfällt, müssen bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Schäden wegen Zahlungsverzugs von einem säumigen Wohnungseigentümer ersetzt werden. Eine bereits erhobene Zahlungsklage kann die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ab diesem Zeitpunkt für erledigt erklären mit der Folge, dass die Kosten regelmäßig dem säumigen Wohnungseigentümer aufzuerlegen sind.
6 Entscheidung
BGH, Urteil v. 16.6.2023, V ZR 251/21