Kommentar
In dem Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs vom 11. Mai 1995 ging es um die Frage, ob die Beförderung von Arbeitnehmern durch Arbeitgeber den Begriff der Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne von Artikel 2 der 6. EG-Richtlinie erfüllt oder ob es sich um einen Umsatz handelt, der gemäß Artikel 6 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie einer Dienstleistung gleichzustellen ist.
Ausgangspunkt des Verfahrens war der Sachverhalt, daß ein Bauunternehmer seine Arbeitnehmer unentgeltlich von den Wohnungen zu den Baustellen beförderte. Hierzu setzte er eigene Fahrzeuge ein. Außerdem beförderte ein Arbeitnehmer im Auftrag des Unternehmens in seinem eigenen Pkw einige Arbeitskollegen von ihren Wohnungen zu den Arbeitsstätten. Ohne Beförderungsmöglichkeit hätten die Arbeitnehmer einen tarifvertraglichen Anspruch auf Erstattung der Fahrtkosten gehabt.
In drei Leitsätzen hat der EuGH entschieden:
- Die Sammelbeförderung der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber ist keine umsatzsteuerbare Dienstleistung, wenn sie unentgeltlich erfolgt und wenn sie nicht konkret mit der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers verbunden ist;
- Die Sammelbeförderung dient grundsätzlich nur dem privaten Bedarf der Arbeitnehmer und nicht dem unternehmerischen Bedarf und ist deshalb einer steuerbaren und steuerpflichtigen Dienstleistung gegen Entgelt gleichzustellen (Eigenverbrauch). In bestimmten Fällen kann die Beförderung aber auch unternehmerischen Zwecken dienen, so daß eine Eigenverbrauchsbesteuerung nach Artikel 6 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie nicht in Betracht kommt;
- Die Sammelbeförderung ist auch dann ein steuerbarer Eigenverbrauch, wenn der Arbeitgeber nicht in eigenen Fahrzeugen befördert, sondern einen Arbeitnehmer mit der Beförderung in dessen Privatfahrzeug beauftragt.
Die Umsatzbesteuerung der Arbeitnehmerbeförderung als entgeltlicher Umsatz im Sinne des Artikels 2 der 6. EG-Richtlinie (= § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG ) setzt nach der Entscheidung voraus, daß die Arbeitnehmer dafür entweder einen konkreten Preis bezahlen oder ein entsprechender Abzug von ihrem Lohn erfolgt. Die Gegenleistung der Arbeitnehmer müsse immer einen subjektiven, tatsächlich zu erbringenden Wert darstellen und könne nicht in einem nach objektiven Kriterien geschätzten Wert der Arbeitsleistung bestehen.
Nach dieser Entscheidung stellt sich insbesondere die Frage, ob das BMF-Schreiben vom 11. März 1997 zur Firmenwagenüberlassung an Arbeitnehmer (BStBl. 1997 I S. 324) weiterhin uneingeschränkt angewendet werden kann. Das BMF-Schreiben könnte insoweit nicht im Einklang mit der EuGH-Entscheidung stehen, als es vom Grundsatz her die Überlassung eines Kraftfahrzeugs an Arbeitnehmer als eine entgeltliche Leistung konstruiert. Auch wenn die Überlassung des Kraftfahrzeugs im Arbeitsvertrag geregelt sein oder auf mündlichen Abreden oder sonstigen Umständen des Arbeitsverhältnisses beruhen muß, bestehen Zweifel, ob das BMF-Schreiben den vom EuGH geforderten konkreten Leistungsaustausch vorsetzt.
Bemerkenswert an der EuGH-Entscheidung ist auch, daß nach Auffassung des EuGH die Bewältigung des Weges zum Arbeitsort grundsätzlich zum privaten Bereich eines Arbeitnehmers gehört. Die unentgeltliche Beförderung zur Arbeitsstätte durch den Arbeitgeber ist deshalb einer Dienstleistung gegen Entgelt im Sinne des Artikels 6 Abs. 2 der 6. EG-Richtlinie gleichzustellen und damit als Eigenverbrauch steuerbar und steuerpflichtig. Der EuGH weicht hier von der Auffassung des BFH ab. Dieser hatte unterstellt, die Beförderung der Arbeitnehmer könne gleichzeitig betrieblichen Zwecken des Arbeitgebers und privaten Zwecken der Arbeitnehmer dienen. Der EuGH sieht in der Beförderung grundsätzlich immer eine Dienstleistung für den privaten Bedarf der Arbeitnehmer und damit eine Leistung für unternehmensfremde Zwecke. Nur in Ausnahmefällen erfolge die Beförderung nicht zu unternehmensfremden Zwecken und könne dann auch nicht der Eigenverbrauchsbesteuerung unterliegen. Ein solcher Ausnahmefall liegt für den EuGH vor, wenn nur der Arbeitgeber ein geeignetes Verkehrsmittel bieten kann oder wenn es sich nicht um feste, sondern um wechselnde Arbeitsstätten handelt, die den Arbeitgeber zwingen, die Beförderung seiner Arbeitnehmer selbst zu übernehmen. In diesen Fällen ist der persönliche Bedarf der Arbeitnehmer für den EuGH nebensächlich.
Offen bleibt nach der Entscheidung, ob es für die Eigenverbrauchsbesteuerung der Arbeitnehmerbeförderungen darauf ankommt, ob das Beförderungsmittel bei seiner Anschaffung zum Vorsteuerabzug berechtigt hat oder nicht. Der EuGH hat sich nicht dazu geäußert, ob die Besteuerung der Beförderungsleistung nach Artikel 6 Abs. 2 Buchst. a oder nach Artikel 6 Abs. 2 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie zu erfolgen hat.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 16.10.1997, C-258/95