Leitsatz
1. Die Art. 167 und 168 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Gesellschaft, die ein bebautes Grundstück erworben hat, um die Gebäude abzureißen und auf dem Grundstück eine Wohnanlage zu errichten, zum Abzug der den Erwerb dieser Gebäude betreffenden Vorsteuer berechtigt ist.
2. Art. 185 der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens der Abriss von Gebäuden, die zusammen mit dem Grundstück, auf dem sie stehen, erworben wurden, der im Hinblick auf die Errichtung einer Wohnanlage anstelle dieser Gebäude erfolgt, nicht zu einer Verpflichtung zur Berichtigung des ursprünglich für den Erwerb dieser Gebäude vorgenommenen Vorsteuerabzugs führt.
Normenkette
MwStSystRL Art. 167, 168, 185, § 15, § 15a UStG
Sachverhalt
Eine rumänische Gesellschaft erwarb 2007 ein bebautes Grundstück mit Abrissgenehmigung und ließ das Gebäude, nachdem ihr Anfang 2008 eine Baugenehmigung für eine Wohnanlage erteilt worden war, Ende 2008 abreißen. Gegen die Berichtigung der beim Erwerb abgezogenen Vorsteuer durch das FA richtete sich das Verfahren vor dem rumänischen Gericht.
Entscheidung
Die Entscheidung entspricht letztlich auch der Rechtsprechung zur Abgrenzung der Herstellungskosten von sofort abziehbaren Betriebsausgaben bei der Einkommensteuer bei Erwerb mit oder ohne Abbruchabsicht (z.B. BFH, Beschluss vom 9.3.2009, IX B 120/08, BFH/NV 2009, 964). Im Sachverhalt des EuGH wurde die Abbruchabsicht durch objektive Anhaltspunkte belegt, weil beim Erwerb des bebauten Grundstücks eine Abrissgenehmigung an die Gesellschaft mitübertragen wurde, diese zeitnah mit dem Abriss der Gebäude begonnen hat und ihr eine Baugenehmigung für die Errichtung der Wohnanlage erteilt wurde. Der EuGH sah es als irrelevant an, dass der Abriss "noch vor der Abgabe der Umsatzsteuererklärung der Gesellschaft" begonnen wurde (Rz. 33), nicht dagegen, wann der Antrag auf Baugenehmigung gestellt worden ist.
Die Frage, ob die Prämisse des vorlegenden Gerichts, Erwerb, Abriss und Neubau dienten einer steuerpflichtigen Tätigkeit, die zum Vorsteuerabzug berechtigt, zutraf, hat den EuGH, der nur die vorgelegte Frage beantwortet hat, nicht beschäftigt.
Hinweis
1. Als Unternehmer zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, wer die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hat, eine (zum Vorsteuerabzug berechtigende) "wirtschaftliche Tätigkeit" selbstständig auszuüben und Investitionsausgaben für diese Zwecke tätigt. Unschädlich ist, wenn die Gegenstände nicht sofort für diese wirtschaftliche Tätigkeit verwendet werden. Diese Voraussetzungen liegen beim Erwerb eines bebauten Grundstücks mit der Absicht zum Abriss der vorhandenen Bausubstanz und zur Errichtung eines Gebäudes zur steuerpflichtigen (!) Vermietung vor, wenn beide Absichten objektiv belegt sind.
2. Nach Art. 185 Abs. 2 der MwStSystRL unterbleibt auch bei einer Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Faktoren die sonst erforderliche Berichtigung u.a. in ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Fällen von Zerstörung.
Ziel der Berichtigungsregelung ist es, einen engen und unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Verwendung der betreffenden Gegenstände und Dienstleistungen für besteuerte Ausgangsumsätze herzustellen. Ein solcher Zusammenhang ist gewahrt beim Erwerb eines bebauten Grundstücks, wenn der Abriss des aufstehenden Gebäudes und die Herstellung eines neuen Gebäudes schon beim Erwerb beabsichtigt waren und dies objektiv belegbar ist.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 29.11.2012, C-257/11SC Gran Via Moinesti SRL (GVM)