Leitsatz
Das OLG Karlsruhe hat sich in dieser Entscheidung mit der Frage auseinandergesetzt, ob für einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling die Bestellung eines Ergänzungspflegers für das Asyl- und Verwaltungsgerichtsverfahren erforderlich ist.
Sachverhalt
Ein im Jahre 1993 geborener afghanischer Staatsangehöriger, dessen Eltern in Afghanistan verstorben waren, hatte sich im Februar 2010 in der Landesaufnahmestelle für Flüchtlinge als unbegleiteter Minderjähriger gemeldet. Am 25.2.2010 nahm ihn die Sozial- und Jugendbehörde der Stadt Karlsruhe in Obhut und beantragte die Einrichtung einer Amtsvormundschaft, die mit Beschluss vom 2.3.2010 vom AG angeordnet wurde. Die Sozial- und Jugendbehörde wurde zum Vormund bestellt. Ein von dem Minderjähriger gestellter Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 7.7.2010 abgelehnt. Hiergegen erhob er - vertreten durch das Jugendamt - Klage beim VG Karlsruhe und beantragte Aufhebung des Bescheides.
Am 14.7.2010 hat das zuständige Jugendamt beantragt, einen Rechtsanwalt zum Ergänzungspfleger für die asyl- und ausländerrechtliche Betreuung des Minderjährigen zu bestellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, weder das Jugendamt noch der Minderjährige besäßen Rechtskenntnisse oder Kenntnisse über die derzeitige Situation in Pakistan und Afghanistan. Daher könnten sie das Klageverfahren gegen die Ablehnung des Asylantrages nicht sachgerecht führen. Eine Ergänzungspflegschaft sei trotz der Handlungsfähigkeit des Jugendlichen im Ausländerecht ab dem 16. Lebensjahr einzurichten.
Das AG - Familiengericht - hat den Antrag auf Bestellung eines Ergänzungspflegers zurückgewiesen und darauf abgestellt, dass der 17-Jährige gemäß § 80 Abs. 1 AufenthG handlungsfähig und einem Volljährigen gleichzustellen sei.
Hiergegen wandte sich der Minderjährige, vertreten durch das Jugendamt, mit der Beschwerde.
Das Rechtsmittel blieb ohne Erfolg.
Entscheidung
Auch das OLG hielt die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft für nicht gegeben. Nach § 1909 Abs. 1 S. 1 BGB erhalte ein Minderjähriger für Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern oder der Vormund verhindert seien, einen Pfleger. Neben einer tatsächlichen oder rechtlichen Veränderung des gesetzlichen Vertreters setze diese Vorschrift für die Anordnung der Pflegschaft ein Bedürfnis voraus, das durch einen gegenwärtigen konkreten Anlass begründet sein müsse (BGH NJW 1976, 49).
Im vorliegenden Fall könne offen bleiben, ob eine Verhinderung des Vormunds gegeben sei. Jedenfalls fehle es an einem Bedürfnis für die Anordnung der Pflegschaft. Eine abweichende Beurteilung sei auch nicht im Hinblick auf das Übereinkommen vom 20.11.1989 über die Rechte des Kindes (UN-Kinderrechtskonvention) geboten.
Auch die in der Rechtsprechung streitige Frage, ob der Amtsvormund wegen fehlender Sachkunde aus tatsächlichen Gründen an der Vertretung des Beschwerdeführers im Asylverfahren verhindert sei, könne offen bleiben, da es jedenfalls an dem Fürsorgebedürfnis als weitere Voraussetzung für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft fehle.
Die Anordnung der Pflegschaft setze voraus, dass die Angelegenheit ohne Pfleger nicht wirksam erledigt werden könne. Ein Fürsorgebedürfnis bestehe nicht, wenn der Minderjährige selbst handlungsfähig sei.
Für die Wahrnehmung seiner Rechte im Asylverfahren sei der Beschwerdeführer selbst handlungsfähig. Dies ergebe sich aus §§ 12 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, 12 Abs. 1 AsylVfG. Anhaltspunkte einer Geschäftsunfähigkeit oder Betreuungsbedürftigkeit des 17-jährigen Beschwerdeführers beständen nicht. Er könne daher wie ein volljähriger Flüchtling alle Prozesshandlungen in einem Asylverfahren selbst wahrnehmen. Ein Bedürfnis für die Bestellung eines Ergänzungspflegers nach § 1909 Abs. 1 BGB bestehe bei dieser Sachlage nicht.
Durch dieses Ergebnis werde dem Beschwerdeführer auch ein effektiver Rechtsschutz nicht versagt. Im Asylverfahren gelte der Untersuchungsgrundsatz, der durch die Mitwirkungsverpflichtung des Asylbewerbs begrenzt sei.
Auch Art. 22 der UN-Kinderrechtskonvention gebiete nicht die Bestellung eines Rechtsanwalts als Ergänzungspfleger für unbegleitete 16- oder 17-jährige Flüchtlinge.
Für die Behandlung minderjähriger Flüchtlinge treffe Art. 22 Regelungen. Die Auslegung dieser Vertragsbestimmung ergebe, dass sie nicht als unmittelbar anwendbare Rechtsnorm zu verstehen sei. Nach seinem Wortlaut sei Art. 22 Abs. 1 lediglich auf ein vereinbartes Ziel gerichtet. Konkrete Maßnahmen der Vertragsstaaten nenne die Bestimmung nicht. Vielmehr bleibe es der Handlungsfreiheit der Vertragsstaaten überlassen, welche geeigneten Maßnahmen zu ergreifen seien, um die genannten Ziele zu erreichen.
Insgesamt könne auch aus der UN-Kinderrechtskonvention kein Anspruch des Beschwerdeführers auf die Bestellung eines Rechtsanwalts als Ergänzungspfleger für das Asylverfahren hergeleitet werden.
Link zur Entscheidung
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 02.12.2010, 2 UF 172/10