a) Rechtsgrundlagen und Zuständigkeit

 

Rz. 8

Die Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses (im Folgenden: ENZ) gehört in die sachliche Zuständigkeit der Notare. Da im ungarischen Recht zur rechtlichen Klärung der Erbfolge ein umfassendes Nachlassverfahren dient (siehe näher Rdn 220 ff.), wurde die Erteilung des ENZ in das bestehende System dieses Nachlassverfahrens integriert. Dies bedeutet, dass die Erteilung eines ENZ im Rahmen eines Nachlassverfahrens erfolgt. Die Anpassungsvorschriften zu Kapitel VI der EuErbVO sind überwiegend im Hetv.[11] enthalten.

[11] Gesetz Nr. XXXVIII aus dem Jahre 2010 über das Nachlassverfahren. Siehe insb. §§ 102/B-102/C.

b) Erteilung eines ENZ für Erben und Vermächtnisnehmer

 

Rz. 9

Die Erteilung eines ENZ für Personen, die den gesamten Nachlass oder einen Teil davon erworben haben, setzt voraus, dass die Erbfolge vollständig geklärt wurde. Dem Erben sowie dem Vermächtnisnehmer kann ein ENZ demgemäß erst nach Beendigung des Nachlassverfahrens erteilt werden, d.h. sobald der Nachlassübergabebeschluss (siehe Rdn 285 ff.) in Rechtskraft erwachsen ist.[12] Der betroffene Erbe bzw. Vermächtnisnehmer kann den Antrag auf Erteilung des ENZ natürlich schon früher, während des Nachlassverfahrens, beim Notar einreichen.

 

Rz. 10

Örtlich zuständig für die Erteilung des ENZ ist stets der Notar,[13] der das Nachlassverfahren durchgeführt hat. Über den Antrag auf Erteilung des ENZ entscheidet der Notar durch besonderen Beschluss. Hierbei prüft der Notar natürlich nicht mehr die Erbfolge (wer, was und auf welchen Berufungsgrund hin der Nachlass übergeht), da dies im Nachlassverfahren selbst geklärt wurde. Vielmehr prüft der Notar, ob die Erteilungsvoraussetzungen (Einreichung des Antrags von einem Berechtigten gem. Art. 65 Abs. (1) i.V.m. Art. 63 Abs. (1) EuErbVO; zeitlicher Anwendungsbereich der Verordnung usw.) gemäß der EuErbVO erfüllt sind.

 

Rz. 11

Wird das ENZ für den Erben erteilt, werden i.d.R. die einzelnen Nachlassgegenstände, die der betroffene Erbe vom Nachlass – als Ergebnis des durchgeführten Nachlassverfahrens[14] – erworben hat, in Ziffer 9 der Anlage IV des Zeugnisses aufgelistet,[15] ebenso wie im Nachlassübergabebeschluss, aufgrund dessen das ENZ erteilt wird. Dasselbe gilt entsprechend für das ENZ, das einem Vermächtnisnehmer erteilt wird; in diesem Fall wird das Vermögen, das den Gegenstand des Vindikationslegats bildet, in Ziffer 5 der Anlage V bezeichnet.

 

Rz. 12

Es kommt allerdings vor, dass keine konkrete Nachlassgegenstände im ENZ erwähnt werden, sondern nur der ideelle Anteil des Nachlasses bezeichnet wird (in Ziffer 8 der Anlage IV), der dem betroffenen Erben zusteht.[16] Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Erblasser kein (bekanntes) Nachlassvermögen hinterlassen hat, der Erbe jedoch ein ENZ zum Nachweis seiner Rechtsstellung als Erben in einem anderen Mitgliedstaat braucht. In solchen Fällen erlässt der Notar im Nachlassverfahren keinen Nachlassübergabebeschluss, sondern erteilt dem Erben auf Antrag einen Erbschein.[17] Das ENZ kann in diesem Fall dann erteilt werden, sobald der Beschluss über die Erteilung des Erbscheins rechtskräftig wird.[18]

[12] § 102/B. Abs. (1) Hetv.
[13] § 102/B. Abs. (3) Hetv.
[14] In den meisten Fällen schließen die Miterben eine Vereinbarung über die Teilung des Nachlasses noch im Laufe des Nachlassverfahrens (siehe Rdn 293). Im notariellen Nachlassübergabebeschluss werden somit konkrete Nachlassgegenstände den einzelnen Erben übergeben.
[15] ENZ gem. Art. 63 Abs. (2) lit. b) EuErbVO.
[16] ENZ gem. Art. 63 Abs. (2) lit. a) EuErbVO.
[17] Zur Rechtsnatur und Funktion des Erbscheins im ungarischen Recht siehe Rdn 300 ff.
[18] § 102/B. Abs. (1) Hetv.

c) Erteilung eines ENZ für Nachlassverwalter und Testamentsvollstrecker

 

Rz. 13

Personen, die im Zusammenhang mit der Nachlassabwicklung bestimmte Aufgaben und diesbezügliche Befugnisse haben, können die Erteilung des ENZ zum Nachweis ihrer Rechtsstellung und Befugnisse nicht nur aufgrund des rechtskräftigen Nachlassübergabebeschluss, sondern bereits in einem früheren Verfahrensstadium beantragen.[19]

 

Rz. 14

Dies ist insbesondere der Fall, wenn der Erblasser einen Testamentsvollstrecker ernannt hat. In diesem Fall hat der Notar im Nachlassverfahren das wirksame Zustandekommen seines Auftrags sowie den Kreis seiner Befugnisse durch Beschluss festzustellen.[20]

 

Rz. 15

Im Laufe des Verfahrens kann nötigenfalls ein Sachwalter für bestimmte Verwaltungsmaßnahmen betreffend den Nachlass[21] bestellt werden (siehe Rdn 246). Der Notar kann ferner einen der Erben mit einem Beschluss dazu ermächtigen, Zugang zu allerlei Auskünften und Informationen über das Nachlassvermögen – in seiner Eigenschaft als Nachlassverwalter – zu erlangen und diese Informationen für die Zwecke der Durchführung des Nachlassverfahrens einzuholen (siehe Rdn 243).[22]

 

Rz. 16

In all diesen Fällen können die Betroffenen (Testamentsvollstrecker, Sachwalter, zur Informationsbeschaffung berechtigter Erbe) zum Nachweis ihrer Rechtsstellung und Befugnisse noch während des Nachlassverfahrens das ENZ beantragen, sobald der fragliche notarielle Beschluss rechtskräftig wird.[23]

[19] ENZ gem. Art. 63 Abs. (2) lit...

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