Dr. Tibor Szocs, Dr. Zsuzsanna Kosa
Rz. 1
Das Eherecht war im ungarischen Rechtssystem derjenige Bereich des Familienrechts, der in der modernen Zeit als erster auf Gesetzesebene kodifiziert wurde: Das alte Ehegesetz von 1894 (Ht.) führte die obligatorische bürgerliche Eheschließung ein und regelte umfassend die rechtliche Ordnung der Eheschließung und die Auflösung der Ehe. Diese Regeln waren bis zu den Nachkriegszeiten in Kraft. Die Normen des Familienrechts – darunter die des Eherechts – waren im ungarischen Recht von 1953 bis zur jüngsten Zeit in einem selbstständigen Gesetz, im Familiengesetz (Csjt.) geregelt. Ein wichtiges Novum im nach langjähriger Vorbereitung im Jahre 2013 verabschiedeten neuen Zivilgesetzbuch (Ptk.) ist die Wiedereingliederung des Familienrechts ins System des bürgerlichen Rechts. Dementsprechend befindet sich die Rechtsmaterie des Familienrechts – das Eherecht inbegriffen – nunmehr im Vierten Buch des Ptk.
I. Entstehungs- und Wirksamkeitsvoraussetzungen der Ehe
Rz. 2
Gemäß dem ungarischen Recht können die Voraussetzungen einer "fehlerlosen" Ehe, die die bürgerlichen Rechtswirkungen restlos auslösen kann, in zwei Gruppen eingeteilt werden: Einerseits hat die Ehe die gesetzlichen Voraussetzungen ihrer Entstehung zu erfüllen, andererseits muss sie auch gültig sein. Dementsprechend werden im ungarischen Recht zwei Fallkreise der mit einem Rechtsmangel behafteten Ehen unterschieden: die rechtlich nicht existierende Ehe (Nichtehe, matrimonium non existens) sowie die ungültige Ehe. Die Rechtswirkungen bei diesen zwei Fälle der fehlerhaften Ehen sind unterschiedlich (siehe eingehend Rdn 20–22).
1. Das Zustandekommen der Ehe
Rz. 3
Gemäß § 4:5. Abs. (1) Ptk. "kommt die Ehe zustande, wenn ein Mann und eine Frau bei gleichzeitiger Anwesenheit vor dem Standesbeamten persönlich erklären, miteinander die Ehe einzugehen. Die Erklärungen können nicht unter einer Bedingung oder Zeitbestimmung abgegeben werden." Die in Abs. (1) genannten Bedingungen sind Voraussetzungen des Zustandekommens einer Ehe; wird nur eine von ihnen nicht erfüllt, so liegt eine Nichtehe vor.
Rz. 4
Dementsprechend ist eine Ehe als nicht existent anzusehen, wenn z.B. die Eheschließenden nicht gleichzeitig anwesend waren, einer der Eheschließenden die Erklärung nicht persönlich abgegeben hat, die Erklärung unter einer Bedingung abgegeben wurde, oder die Erklärungen nicht gleichlautend waren. Ebenfalls als nicht entstanden gilt die Ehe, wenn die Voraussetzung der obligatorischen bürgerlichen Ehe nicht erfüllt ist, also bei der Eheschließung kein Standesbeamter mitgewirkt hat. Die Ehe wird ebenfalls als nicht existent angesehen, wenn sie nicht von einem Mann und einer Frau geschlossen wurde. Das ungarische Recht ermöglicht für gleichgeschlechtliche Personen keine Eheschließung. Das diesbezügliche Verbot ist auch im ungarischen Grundgesetz deklariert. Für gleichgeschlechtliche Personen besteht die Möglichkeit, eine eingetragene Lebenspartnerschaft einzugehen (siehe Rdn 173 ff.), die – von einigen Ausnahmen abgesehen – die gleichen Rechtswirkungen auslöst wie die Ehe.
2. Die Gültigkeitsvoraussetzungen der Ehe
Rz. 5
Die Gültigkeitsvoraussetzungen der Ehe sind im Gesetz mit der Umkehrlogik geregelt: Es zählt die Ungültigkeitsgründe abschließend auf. Die Ungültigkeitsgründe sind eigentlich Ehehindernisse; bei Bestehen auch nur eines von ihnen ist die Ehe ungültig.
a) Ehemündigkeit
Rz. 6
Nach geltendem ungarischen Recht ist die Ehemündigkeit sowohl von Männern als auch von Frauen mit der Volljährigkeit (Vollendung des 18. Lebensjahres) erreicht. Die Ehe eines Minderjährigen ist ungültig, es sei denn, die Vormundschaftsbehörde hat eine Genehmigung zur Eheschließung im Voraus erteilt.
Rz. 7
Die Vormundschaftsbehörde kann einer beschränkt geschäftsfähigen minderjährigen Person die Eheschließung genehmigen, wenn sie das 16. Lebensjahr vollendet hat. Im Genehmigungsverfahren hat die Vormundschaftsbehörde – von einigen Ausnahmefällen abgesehen – auch die gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen (Eltern, Vormund) anzuhören. Die Verordnung über den Kinderschutz (Gyer) regelt eingehend, unter welchen Bedingungen die Vormundschaftsbehörde die Eheschließung genehmigen kann. Schließt eine minderjährige Person nach Vollendung des 16. Lebensjahrs mit Genehmigung der Vormundschaftsbehörde eine Ehe, wird sie in Folge der Eheschließung – kraft Gesetzes – volljährig.
Rz. 8
Die Ungültigkeit der Ehe wegen Minderjährigke...