Dr. Tibor Szocs, Dr. Ádám Tóth
Rz. 216
Im ungarischen Recht ist die unbeschränkte Haftung des Erben gegenüber den Nachlassgläubigern grundsätzlich nicht bekannt. Die Erben haften in jedem Fall bis zur Höhe des Nachlasses, und zwar in erster Linie mit den Gegenständen des Nachlasses und dessen Erträgen (cum viribus-Haftung). Ist der Erbe zur Zeit der Geltendmachung der Nachlassverbindlichkeiten nicht im Besitz der Nachlassgegenstände bzw. deren Erträge, so haftet er bis zur Höhe des Nachlasses mit seinem Privatvermögen (pro viribus-Haftung).
Rz. 217
Vermögensgegenstände, die nicht in den Besitz des Erben gelangt sind, ferner Forderungen und Rechte, die nicht durchgesetzt werden konnten, sowie nicht vorhandenen Erträge der übernommenen Nachlassgegenstände können bei der Feststellung der Erbenhaftung insoweit berücksichtigt werden, als der Erbe um diese aus einem von ihm zu vertretenden Grund gekommen ist. Der überlebende Ehegatte ist verpflichtet, die Befriedigung der Forderungen der Nachlassgläubiger aus dem mit seinem Nießbrauch belasteten Vermögen – mit Ausnahme der auf Vermächtnissen und Auflagen beruhenden Forderungen – zu dulden.
Rz. 218
Die Miterben haften für die Nachlassverbindlichkeiten sowohl vor der Erbteilung als auch danach als Gesamtschuldner. Der Erbe, dem der Erblasser aus dem Nachlass einen bestimmten Vermögensgegenstand zugewendet hat, der den Wert eines gewöhnlichen Geschenks nicht übersteigt, haftet nur dann für die Forderungen der Gläubiger, wenn die Forderung von den übrigen Miterben nicht eingetrieben werden kann.
Rz. 219
Vom Grundsatz der beschränkten Haftung sieht das neue Ptk. zwei Ausnahmen vor: Der Erbe haftet nunmehr für die Nachlasskosten sowie für die Kosten des Nachlassverfahrens auch mit seinem eigenen Vermögen, und zwar ohne Beschränkung.
Rz. 220
Als Nachlassverbindlichkeiten gelten nach ungarischem Recht die nachstehenden Forderungen, und zwar in folgender Rangfolge:
1. |
die Kosten der gebührenden Bestattung des Erblassers; |
2. |
die mit dem Erwerb, der Sicherung und Verwaltung des Nachlasses verbundenen Kosten (sog. "Nachlasskosten") sowie die Kosten des Nachlassverfahrens; |
3. |
die Schulden des Erblassers; |
4. |
die aus dem Pflichtteil herrührenden Verpflichtungen; |
5. |
die aus einem Vermächtnis oder einer Auflage herrührenden Verpflichtungen. |
Rz. 221
Die vorrangig eingestuften Nachlassverbindlichkeiten gehen bei der Befriedigung den nachgeordneten Verbindlichkeiten vor. Sollten innerhalb einer Gruppe sämtliche Forderungen nicht mehr in voller Höhe beglichen werden können, so ist die Befriedigung quotenmäßig – d.h. im Verhältnis der Forderungen derselben Gruppe zueinander – zulässig. Der Gläubiger, der ein Pfandrecht an einem zum Nachlass gehörenden Vermögensgegenstand besitzt, kann jedoch – ungeachtet der Rangfolge – bis zur Höhe der Sicherheit volle Befriedigung fordern.
Rz. 222
Um den Kreis der Nachlassgläubiger zu ermitteln und die gutgläubigen Erben zu befreien, kennt auch das ungarische Recht das Aufgebot der Nachlassgläubiger. Das Aufgebotsverfahren findet statt, wenn begründet vermutet werden kann, dass es unbekannte Nachlassverbindlichkeiten gibt. Auf Antrag des Erben fordert der Notar die Nachlassgläubiger auf, ihre Forderungen anzumelden. Der Gläubiger, der seine Forderung nicht innerhalb der im Aufgebot des Notars gesetzten Frist angemeldet hat, kann wegen der Rangordnung und des quotenmäßigen Verhältnisses der Befriedigungen der zu seiner Gruppe gehörenden Forderungen gegen die bis zu seiner Anmeldung erfolgten Befriedigungen keine Einrede erheben. Ist die Erbteilung bereits erfolgt, kann der Gläubiger von den Miterben nur Befriedigung im Verhältnis zu ihren Erbteilen fordern. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Erbe auch ohne die Anmeldung Kenntnis von der Forderung hatte. Wird ein Aufgebotsverfahren nicht durchgeführt und hat der Erbe die bekannten Gläubiger befriedigt und dabei den Nachlass ausgeschöpft, so haftet er gegenüber den anderen Gläubigern mit seinem ganzen Privatvermögen.