Leitsatz

Ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Stammkapital der Gesellschaft schon im Gründungsstadiumangegriffen oder verbraucht worden ist oder dass sogar darüber hinausgehende Verluste entstanden sind, ist es (ausnahmsweise) Sache der Gesellschafter darzulegen, dass eine Unterbilanz nicht bestanden hat. Dies gilt zumindest in den Fällen, in denen eine ordnungsgemäße Vorbelastungsbilanz auf den Eintragungsstichtag nicht erstellt worden ist oder nicht einmal geordnete Geschäftsaufzeichnungen vorhanden sind. Im Übrigen trifft die Beweislast für Unterbilanzhaftungsansprüche die Gesellschaft oder den Insolvenzverwalter.

 

Sachverhalt

Die X-GmbH wurde am 9.10.1990 mit einem Stammkapital von 200 000 DM gegründet. Die Stammeinlagen in Höhe von jeweils der Hälfte wurden von zwei Gründern übernommen, von denen einer die Hälfte seiner Einlagepflicht durch Einbringung einer auf fremdem Grund und Boden stehenden Markthalle erfüllen sollte. Die Gesellschaft, die schon Mitte November 1990 ihren Geschäftsbetrieb aufnahm, wurde am 21.2.1991 ins Handelsregister eingetragen. Ein vollständiger Sachgründungsbericht ist nicht erstattet worden; es existiert lediglich dessen unvollständiger und nicht unterzeichneter Entwurf. In der Eröffnungsbilanz wurde die Halle ohne weitere Begründung mit einem Wert von 60 100 DM aktiviert. In einer als "Bilanz" bezeichneten Vermögensübersicht wurde unter anderem ein – ebenfalls nicht weiter erläuterter – Aktivposten für "Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Bauten einschließlich der Bauten auf fremden Grundstücken" in Höhe von 344 512 DM aufgenommen. Weitere Aufzeichnungen fehlen. Über das Vermögen der GmbH wurde am 9.12.1991 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter hat die Ansicht vertreten, die Gesellschafter hätten ihre Stammeinlagen nicht erbracht. Außerdem sei zum Eintragungszeitpunkt schon von einer Unterbilanz auszugehen, die zur Haftung der Gesellschafter führe. Schließlich seien auch Geldbeträge unter Verstoß gegen Kapitalschutzvorschriften ausgekehrt worden. Seine unter anderem auf Erfüllung der Einzahlungspflicht gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen nur teilweisen Erfolg. Der BGH hat die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung an das OLG zurück verwiesen.

 

Entscheidung

Der Senat weist zunächst darauf hin, dass der klagende Insolvenzverwalter – entgegen der Auffassung des Vorgerichts – die Voraussetzungen für die Pflicht der Beklagten, Geldentnahmen nach den Eigenkapitalersatzregeln[1] zurückzuerstatten, ausreichend belegt habe. Denn nach seinem Vortrag konnte er sich dabei allein auf die von ihm vorgefundenen, dürftigen Geschäftsunterlagen, vor allem die betriebswirtschaftlichen Auswertungen, stützen. Nach diesen befand sich die Gemeinschuldnerin von Anfang an in einer schwierigen finanziellen Lage, in der nicht nur die Hausbank schon zum 31.1.1991 die Geschäftsverbindung gekündigt hatte, sondern in der die Verluste mit Beginn der Geschäftstätigkeit von Monat zu Monat stetig zunahmen und bereits zum Ende des Monats Juli – mit einer Steigerung von mehr als 400 000 DM binnen eines Monats – die Millionengrenze überschritten hatten. Es sei angesichts dieser Umstände ausschließlich an den Beklagten, darzutun, dass die Gemeinschuldnerin bis zu der wenige Tage vor Erlass des Sequestrationsbeschlusses veranlassten streitigen Zahlung an die Beklagten sich nicht in der das Eingreifen der Eigenkapitalersatzregeln begründenden Krisensituation befunden hat. Dagegen überspanne es die Anforderungen an den Umfang der Darlegung des Bestehens einer Krise, wenn der Insolvenzverwalter in dieser Situation die Möglichkeit positiv ausräumen müsse, dass sich die Notwendigkeit, einen Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens zu stellen, erst aufgrund eines kurzfristig, nämlich zwischen dem Tag der Entnahme und dem Sequestrationsbeschluss, eingetretenen Ereignisses ergeben habe.

Die Richter betonen weiter, dass nach den allgemeinen Regeln die Gesellschaft – bzw. im Falle ihrer Insolvenz der Insolvenzverwalter – darlegungs- und beweispflichtig für das Bestehen von Unterbilanzhaftungsansprüchen ist[2]. Ergeben sich aus dem dem Insolvenzverwalter vorliegenden Material hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass das Stammkapital der Gesellschaft schon im Gründungsstadium angegriffen oder verbraucht worden ist oder sogar darüber hinausgehende Verluste entstanden sind, ist es indes Sache der Gesellschafter darzulegen, dass eine Unterbilanz nicht bestanden hat. Vorliegend gab es nur rudimentäre Aufzeichnungen und keine ordnungsgemäße Kassenführung. In diesem Fall dürfen die Darlegungspflichten des Insolvenzverwalters nicht überzogen beurteilt werden, weil er – anders als die Gesellschafter – die einzelnen Geschäftsvorfälle selbst nicht erlebt hat und angesichts der Unzulänglichkeit der von ihm vorgefundenen Aufzeichnungen der Gesellschaft das fehlende Zahlenwerk nicht nachträglich erstellen kann. Der Senat sah insoweit weiteren A...

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