Leitsatz

Die Verlesung einer Urkunde ist Teil der erforderlichen Beweisaufnahme zu den persönlichen Verhältnissen des oder der Angeklagten. Sie genügt, um die Hauptverhandlung innerhalb der gesetzlichen Frist fortzusetzen.

 

Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft rügte in ihrer Revision unter anderem, dass die Hauptverhandlung nicht im Rahmen der Fristen von § 229 StPO fortgesetzt worden sei. Der BGH verwarf das Rechtsmittel.

 

Entscheidung

Eine Hauptverhandlung gilt dann als fortgesetzt und muss nicht wegen Überschreitung der gesetzlichen Frist ausgesetzt werden, wenn im Fortsetzungstermin zur Sache verhandelt und das Verfahren gefördert wird. Die Verlesung einer Urkunde, insbesondere eines Bundeszentralregisterauszugs, ist Teil der erforderlichen Beweisaufnahme zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten. Sie bringt das Verfahren voran und ist eine Sachverhandlung im Sinne einer fristwahrenden Fortsetzungsverhandlung. Für die Frage, ob zur Sache verhandelt und das Verfahren gefördert worden ist, kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob weitere verfahrensfördernde Handlungen möglich gewesen wären und der Fortsetzungstermin der Einhaltung der Unterbrechungsfrist diente.

Auch die seit 2004 geltende Verlängerung der Unterbrechungsfrist auf drei Wochen[1] gebietet keine andere Betrachtungsweise. Zwar führt die Gesetzesänderung dazu, dass umfangreiche Hauptverhandlungen noch länger als früher dauern. Die Zahl der Verfahren, in denen die Unterbrechungsfrist zwischen zwei Terminen regelmäßig mehr als zehn Tage beträgt und z.B. nur zweimal im Monat verhandelt wird, nimmt, was nach der Gesetzesänderung auch zu erwarten war, zu. Dies verletzt indes für sich noch nicht die sich aus § 229 StPO ergebende Konzentrationsmaxime. Sie soll lediglich gewährleisten, dass der Richter das Urteil aus dem Inbegriff der Verhandlung gewinnen kann und nicht veranlasst wird, beim Urteilsspruch die Ergebnisse der Verhandlung aus den Akten oder anderen Aufzeichnungen zu entnehmen[2]. Dies ist aber auch bei längeren Unterbrechungen der Hauptverhandlung möglich.

Der Tatrichter muss bei der Terminierung einer Verhandlung indes das in Art. 5 Abs. 3 Satz 2, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK normierte Beschleunigungsgebot beachten[3]. Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH kann eine Verletzung dieses Gebots – insbesondere in Haftsachen – auch in einer nicht mehr sachgerechten und zu lang gestreckten Terminierung gesehen werden[4]. Im konkreten Fall hatte das LG nach Auffassung des Senats das Beschleunigungsgebot beachtet.

 

Praxishinweis

Gerade Hauptverhandlungen, die Wirtschafts- und Steuerdelikte zum Gegenstand haben, erstrecken sich häufig über längere Zeiträume. Terminkollisionen – zumal bei den Verteidigern – sind dabei nicht auszuschließen. Die Gerichte setzen daher verbreitet "Sprung-" oder "Schiebetermine" an, in denen nur kurz zur Sache selbst verhandelt wird. Der BGH billigt mit seiner Entscheidung diese Praxis, sofern diese Termine das Verfahren tatsächlich fördern, das Gericht also nicht nur zum Schein zusammentritt. "Pseudotermine", in denen z.B. der Bundeszentralregisterauszug oder ein anderes Schriftstück nur teilweise verlesen wird, bleiben aber weiter unzulässig.

 

Link zur Entscheidung

BGH-Urteil vom 3.8.2006, 3 StR 199/06

[1] Geschaffen durch das "Justizmodernisierungsgesetz" vom 24.8.2004, BGBl I 2004, S. 2198
[2] Ausführlich hierzu BGH-Urteil vom 25.7.1996, 4 StR 172/96, NJW 1996, S. 3019
[3] Ausführlich dazu Knauer/Wolf, Zivilprozessuale und strafprozessuale Änderungen durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz – Teil 2: Änderungen der StPO, NJW 2004, S. 2932, 2934

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