1 Leitsatz
Ist eine Regelung der Gemeinschaftsordnung über die Stimmverteilung nichtig, ist § 25 Abs. 2 Satz 1 WEG anzuwenden.
2 Normenkette
WEG § 25 Abs. 2 Satz 1
3 Entscheidung
LG München I, Urteil v. 7.2.2019, 36 S 5357/18 WEG
4 Sachverhalt
Nach der Gemeinschaftsordnung steht den Eigentümern eines Stellplatzes kein Stimmrecht zu. Die Wohnungseigentümer haben Zweifel, dass diese Regelung wirksam ist. Sie beauftragen daraufhin einen Rechtsanwalt, die Frage zu begutachten. Dieser meint, die Gemeinschaftsordnung sei ergänzend auszulegen. Abzustimmen sei nach einem Wertstimmrecht. Er folgert das aus der Gemeinschaftsordnung. Danach hat jeder Wohnungseigentümer pro angefangenen 100 qm Wohnfläche bei Abstimmungen 1 Stimme. Die Wohnungseigentümer überzeugt das. In der Versammlung wird daher bei den Abstimmungen ein Flächenprinzip zugrunde gelegt. Gegen die so gefassten Beschlüsse geht Wohnungseigentümer K vor.
5 Die Entscheidung
Mit Erfolg! Die Vereinbarung ist nach Ansicht des LG nichtig. Zwar ist § 25 Abs. 2 Satz 1 WEG abdingbar. Eine Vereinbarung, die einem Wohnungseigentümer für jeden erdenklichen Beschlussgegenstand kein Stimmrecht zubillige, sei aber nach § 134 BGB nichtig. Die Teileigentümer hätten deshalb nach § 25 Abs. 2 Satz 1 WEG jeweils 1 Stimme gehabt. Denn die Vereinbarung zum Stimmrecht der Wohnungseigentümer sei nicht auf sie im Wege der Auslegung übertragbar gewesen. Garagenstellplätze hätten keine Wohnfläche und seien auch von der Größenordnung der auf sie entfallenden Fläche nicht mit der Größenordnung einer Wohnung vereinbar. Die gefassten Beschlüsse litten daher unter einem formellen Mangel, der zur Anfechtbarkeit geführt habe. Bei formellen Fehlern sei die Anfechtung allerdings nur dann begründet, wenn sich die Mängel auf das Ergebnis des Beschlussanfechtungsverfahrens zumindest ausgewirkt haben können. Umgekehrt scheide eine Ungültigerklärung aus, wenn mit Sicherheit – nicht nur hoher Wahrscheinlichkeit – feststehe, dass der jeweilige Beschluss auch bei ordnungsgemäßem Verfahren gefasst worden wäre. So liege es aber. Es sei unstreitig, dass sich die Abstimmung nach Miteigentumsanteilen nicht auf die Beschlussergebnisse ausgewirkt habe.
Hinweis
Im Fall geht es um die Wirksamkeit einer Vereinbarung. Das LG meint, eine Vereinbarung, die einem Wohnungseigentümer oder Teileigentümer kein Stimmrecht gewährt, sei unwirksam. Diese Ansicht ist mehrheitsfähig. Denn das Stimmrecht eines Wohnungseigentümers gehört nach h. M. zu einem "Kernbereich elementarer Mitgliedschaftsrechte". Es könne jedenfalls nicht allgemein ausgeschlossen werden. Ein "stimmrechtsloses" Wohnungseigentum sei nicht vorstellbar. Ist es so, muss man fragen, was dann gilt. Der Rechtsanwalt, den die Wohnungseigentümer gefragt haben, meinte, es gelte dann das, was für die Wohnungseigentümer gelte, also ein "Flächenstimmrecht". Dem stimmte das LG nicht zu. Das führt dazu, dass in der Wohnungseigentumsanlage bei Abstimmungen mehrere Stimmrechtsprinzipien anzuwenden sind. Die Wohnungseigentümer werden dabei benachteiligt. Ich selbst hätte daher so entschieden, wie es der Rechtsanwalt vorgeschlagen hatte.
Beschluss und Beschlusskompetenz
Der klagende Wohnungseigentümer meinte auch, es habe zum Abstimmungsmodus "irgendwie" einen Beschluss gegeben. Das LG wies insoweit zu Recht darauf hin, einem solchen Beschluss habe die Beschlusskompetenz gefehlt. Werde hingegen in einer Versammlung – wie im Fall – ein bestimmter Abstimmungsmodus angewandt, so habe diese Anwendung selbst weder "Beschluss- noch Vereinbarungscharakter", noch aus sonstigen Gründen irgendeine Bindungswirkung für die Zukunft. Da kein Beschluss über Änderungen der Gemeinschaftsordnung gefasst worden sei, stelle sich die Frage der Beschlusskompetenz nicht.