Leitsatz
1. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass die Frage, ob die Behandlung von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig werden, als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, mit Bezug auf die fragliche Tätigkeit als solche zu beurteilen ist, ohne dass sich diese Beurteilung auf einen lokalen Markt im Besonderen bezieht.
2. Der Begriff "führen würde" i.S.d. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-RL ist dahin auszulegen, dass er nicht nur den gegenwärtigen, sondern auch den potenziellen Wettbewerb umfasst, sofern die Möglichkeit für einen privaten Wirtschaftsteilnehmer, in den relevanten Markt einzutreten, real und nicht rein hypothetisch ist.
3. Der Begriff "größere" i.S.d. Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-RL ist dahin zu verstehen, dass die gegenwärtigen oder potenziellen Wettbewerbsverzerrungen mehr als unbedeutend sein müssen.
Normenkette
Art. 4 Abs. 5 der 6. EG-RL (vgl. § 2 Abs. 3 UStG)
Sachverhalt
Der Rechtsstreit vor dem englischen Gericht betraf die Mehrwertsteuerpflicht von Behörden für die Bewirtschaftung von abgeschlossenen Parkeinrichtungen für Autos. In für diesen Sachverhalt repräsentativen Musterverfahren (Insel, ländliches Gebiet, Stadtgebiet und Region) sollte die Mehrwertsteuerpflicht geklärt werden.
Entscheidung
Stellt man – wie der EuGH – nicht darauf ab, wie die lokale Situation sich darstellt, sondern auf die Tätigkeit als solche, spricht einiges dafür, dass die Parkraumbewirtschaftung stets als im Wettbewerb mit privaten Unternehmern anzusehen ist.
Hinweis
Staaten, Länder, Gemeinden und sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts (jPöR) gelten nicht als Steuerpflichtige, soweit sie die Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen, auch wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten oder Leistungen Zölle, Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. Falls sie jedoch solche Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen, gelten sie für diese Tätigkeiten oder Leistungen als Steuerpflichtige, sofern eine Behandlung als Nicht-Steuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Der Begriff der Wettbewerbsbeschränkung ist im Wettbewerbsrecht geklärt. Dass im USt-Recht nichts anderes gelten könnte, schien klar. Der EuGH hat jetzt für letzte (überraschende) Klarheit gesorgt.
1. Der Begriff "Wettbewerbsverzerrungen"
Der EuGH betont, der Grundsatz der Rechtssicherheit sowie die Komplexität der Sachverhalte und die Schwierigkeit der Beurteilung der Wettbewerbssituation, die sich leicht verändern könne, stehe der Berücksichtigung der Wettbewerbsbedingungen auf einem bestimmten lokalen Markt entgegen. So wären – z.B. wie im Streitfall – weder die lokalen Behörden noch die privaten Wirtschaftsteilnehmer in der Lage, mit der für die Führung ihrer Geschäfte notwendigen Gewissheit vorherzusehen, ob die Bewirtschaftung von gebührenpflichtigen Parkeinrichtungen durch lokale Behörden auf einem bestimmten lokalen Markt der Mehrwertsteuer unterliegt oder nicht.
Die Frage, ob die Behandlung von Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der öffentlichen Gewalt tätig werden, als Nichtsteuerpflichtige zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde, ist danach mit Bezug auf die fragliche Tätigkeit als solche zu beurteilen, ohne dass sich diese Beurteilung auf einen lokalen Markt im Besonderen bezieht. Wenn der EuGH diese Konkretisierung aus der Gemeinschaftsrechtlichen Vermutung, dass bestimmte Tätigkeiten der jPöR stets im Wettbewerb mit Tätigkeiten privater Unternehmer zu sehen sei, ableitet, kann als Bezugsgröße nur das Gebiet des Mitgliedstaats in Betracht kommen. Wie sich das angesichts dessen, dass im Fall der Parkplatzbewirtschaftung eine Parkplatzbewirtschaftung durch eine Gemeinde im ganzen Bundesgebiet schwerlich vorstellbar ist, mit der Entscheidung zu den Milchquotenverkaufsstellen (die einen gesetzlich definierten Tätigkeitsbereich haben) vereinbaren lässt, ist nicht ganz offensichtlich.
2. Zur Frage, welcher Wahrscheinlichkeitsgrad oder welches Maß an Gewissheit zur Erfüllung dieser Voraussetzung des Begriffs "zu Wettbewerbsverzerrungen führen würde" erforderlich ist, hat der EuGH entschieden, die rein theoretische, durch keine Tatsache, kein objektives Indiz und keine Marktanalyse untermauerte Möglichkeit für einen privaten Wirtschaftsteilnehmer, in den relevanten Markt einzutreten, kann nicht mit dem Vorliegen eines potenziellen Wettbewerbs gleichgesetzt werden. Eine solche Gleichsetzung – mit aktuell zu beobachtendem Wettbewerb im Gebiet eines Mitgliedstaats – setzt vielmehr voraus, dass sie real und nicht rein hypothetisch ist. Es muss also ein konkreter Anhaltspunkt für potenziellen Wettbewerb bestehen. Das entspricht auch der Auffassung zur entsprechenden Frage im Wettbewerbsrecht.
3. Welche Bedeutung hat der Begriff "größere" Wettbewerbsverzerrungen? Damit soll der Anwendungsbereich der Einschränkung, wonach die...